Der Mauerfall

Weltweite Ereignisse, denen man sich nicht entziehen kann oder entziehen konnte. Der Blick der Gelsenkirchener auf die Welt.

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JürgenB
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Eindrücke vom 9. 11. 89

Beitrag von JürgenB »

Na, dann werd ich mal einen Fred eröffnen, der im Laufe der nächsten Wochen ohnehin hier auftauchen wird:

Was habt ihr an Eindrücken vom 9. 11. 89 behalten? Wie habt ihr vom Mauerfall erfahren?

Fang ich gleich mal an: Ich hab zunächst gar nix mitgekriegt. Ich war bis zum 8. zwei Monate lange in Japan und traf mich am 9. abends - ein Donnerstag - zur regelmäßigen Powerwellen-Redaktionssitzung im Studio.

Da gings dann auch nicht nur um Powerwelle, sondern ich hab natürlich auch ein bißchen erzählt von diesem wundersamen Land.

Anschließen sind wir wie immer noch auf ein Bier in die Kenke. Glaubt ihr, da kam irgendjemand rein und erzählte die Neuigkeit? Allerdings war die Kenke an dem abend auch relativ leer.

Als ich dann so gegen halb zwölf nach Hause kam redete meine Gutste im Halbschlaf irgendwas von wegen "Mauer" und "offen". Ich sofort Fernseher an und überall durchgezappt, aber da liefen auf allen Kanälen irgendwelche Columbos usw. Also: konnte wohl nicht so ganz stimmen, dachte ich mir. Die müssten doch überall Sondersendungen en masse fahren.

Wegen des Jet-Lags wachte ich so gegen 5 wieder auf und hab noch mal die Glotze eingeschaltet und siehe da: auf RTL waren irgendwelche befreiten Trabis zu sehen (Niveau-TV - konnte man zu jener Zeit noch halbwegs mit Fug und Recht behaupten - hatte zu jener Zeit noch kein Frühstücksfernsehen).

Für mich umso erstaunlicher, als dass ich die zwei Monate davor von all den Geschichten aus Budapest, Prag, Leipzig und vom Alexanderplatz gar nichts so recht mitbekommen hatte. Lediglich in Manila auf dem Flughafen hatte ich mir für den Rückflug ein "Time"-Magazin mit der Schlagzeile "100 000 Leute demonstrieren auf dem Alexanderplatz" gekauft. Glaubwürdiger Kommentar meiner Gutsten im Flieger dazu: "Da übertreiben die Kollegen mal wieder gewaltig. Ist mindestens eine Null zu viel."
Geboren im Jahre der Meisterschaft - nicht wie ihr alle denkt, sondern 3 Jahre früher!

ultra gelsenkirchen
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Beitrag von ultra gelsenkirchen »

ich war zwar erst sieben , aber das Gefühl ist dasselbe wie heute wenn cih dran denke , es ist mir Scheissegal :)

Mehr Maurer braucht das Land

HelmutW
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Beitrag von HelmutW »

Man hat natürlich vieles mitbekommen von den Ereignissen. Trotzdem war ich sehr überrascht und ungläubig...
Da ich ja nahe am Zonenrandgebiet( :wink: ) gewohnt habe, habe ich sehr schnell den Osten aufgesucht. Ich muß schon sagen, ich war unendlich neugierig....
Achtung..........
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Jazzam
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Beitrag von Jazzam »

vor dem kleinen schwarz-gelben Plastikfernseher im Gästezimmer gesessen.

Gerade 16 Jahre alt, Politik interessiert, Ostblock auch, durch Berlin - Liebe und polnische Freundin.....

ja und dann, ich konnte es gar nicht glauben, habe immer auf blutige Zwischenfälle getippt, aber es blieb alles ruhig.

Erstaunlich.

Aber Gorbi hatte ja schon die Rückendeckung entzogen.


Allerdings mochte ich die Atmosphäre vor dem Mauerfall irgendwie mehr als das jetztige Bundeshauptstadt - Berlin.

:roll:


P.S.:
Das "kurz vor dem Ende" des eigenen Welt- und Wertesystems stehende, das Umzingelte hat Berlin eine Prägung vermittelt, die, zwar nicht wünschenswert, aber für mich damals einen unwiderstehlichen Reiz ausgeübt hat.
Berlin, mein Traumziel 1988 - 1989.

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JürgenB
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Beitrag von JürgenB »

Jazzam hat geschrieben: Berlin, mein Traumziel 1988 - 1989.
Mit der eingemauerten Insel konntest du mich seinerzeit nicht hinter dem Ofen vorlocken, solange man nicht in die Umgebung fahren durfte.

Allerdings ahnte ich auch nicht, dass mein Sohn eines Tages den Weg vom S-Bahnhof Grünau zur Fähre nach Wendenschloss, den ich mal anläßlich eines Wintertrips zu Zeiten meines Zivildienstes Anfang der 80er gemacht habe, als täglichen Schulweg haben würde.
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Benzin-Depot
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Re: Eindrücke vom 9. 11. 89

Beitrag von Benzin-Depot »

JürgenB hat geschrieben:Na, dann werd ich mal einen Fred eröffnen, der im Laufe der nächsten Wochen ohnehin hier auftauchen wird:
Kinder wie die Zeit vergeht...bald ist wieder Weihnachten :P
JürgenB hat geschrieben: Was habt ihr an Eindrücken vom 9. 11. 89 behalten? Wie habt ihr vom Mauerfall erfahren?
Der Fernsehsender Pro7, den wir als einzigsten Privatsender über Antenne empfangen konnten, hatte am Brandenburger Tor sowie vor der Berliner Mauer Kameras aufgebaut und in den Nächten um den 9.11. die Bilder live übertragen. Ich erinnere mich, dass ich noch nachts um 2.00 Uhr vor der Mattscheibe die Geschehnisse mit Spannung verfolgt hatte.
  • Am nächsten Morgen titelte die WAZ auf ihrer halben Titelseite:

    DDR öffnet ab sofort alle West-Grenzen

    Bild




    Es dauerte noch einen weiteren Tag bis die die Medien richtig aufdrehten :

    Das Titelblatt wurde ganzseitig ausgenutzt um von einer innerdeutschen Tanzveranstaltung zu berichten :wink:

    Berliner tanzen auf der Mauer

    hieß die Schlagzeile (fett unterstrichen)


    Bild

    Und die WAZ orakelte damals schon: "Ein Tag der in die Geschichte eingeht"
„Die Menschen", sagte der Fuchs, „die haben Gewehre und schießen. Das ist sehr lästig.“
(Antoine de Saint-Exupéry / aus "Der kleine Prinz")

postminister
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Beitrag von postminister »

Ich kann mich an den Tag noch sehr gut erinnern.Genau wie Jazzam war ich damals 16 jahre alt. Vater ist Ruhrpottkind aber Mutter gebürtige
Dresdenerin. Wir verfolgten die Entwicklung schon seit Ende Juni mit der Öffnung der Grenze
in Ungarn. Meine Mutter hat hemmungslos geweint als Schabowski die berühmte Pressekonferenz gegeben hat. Endlich würden wir Oma und Opa in Dresden regelmäßig und ohne Schikanen besuchen können. Nach der Pressekonferenz kam nochmal etwas
Ungläubigkeit auf, die aber mit Hajo Friedrichs abends in den Nachrichten praktisch weggewischt wurden.
Die Berliner Mauer habe ich nie gesehen, dafür aber zugenüge den Grenzübergang Herleshausen bei Eisenach. Der Grenzübertritt dauerte dort meist ein bis zwei Stunden.
Anschliessend ging es noch zehn minuten durch sogenanntes Niemandsland. Wir passierten
die Grenze immer kurz nach null Uhr. Man musste für das Vergnügen die DDR besuchen zu dürfen schliesslich bezahlen. Folglich wollten wir die Tage auch nutzen.
Ich werde nie die gruselige Stimmung in dem so genannten Niemandsland vergessen, in dem
man weder anhalten noch die Fenster öffnen durfte. Noch heute laufen mir Schauer über den Rücken, wenn wir die Stelle an der heutigen A4 passieren.

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gutenberg
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Ein Vierteljahrhundert.

Beitrag von gutenberg »

Ich kann mich an eine Karikatur aus meiner frühen Kindheit erinnern, die betitelt war: „Flieg auf, du deutscher Adler“ und einen Reichsadler zeigte, der mit aller Mühe versuchte, trotz gewaltiger Ketten an den Füßen emporzufliegen. Sie erschien 1953 anläßlich der nahezu volligen Rückgabe der Souveränität an die deutsche Bundesrepublik.

Ich habe diese Karikatur noch öfter in meinem Leben gesehen und jedesmal völlig anders beurteilen können und müssen. Beim ersten Mal, als ich sie mir bewusst ansah, fiel mir die ungeheure Chuzpe auf, die darin zum Vorschein kam: War es doch gerade mal ein paar Jahre her, dass von Deutschland, na, wir alle wissen schon...

Und dennoch wird den Aliierten ihr überaus faires, nach christlicher Kultur ausgerichtetes Verhalten vorgeworfen.

Sie geriet mir zu Zeiten des 6-Tage-Krieges Israel gegen eine von Nasser aufgeputschte Arabische Front ieder in die Hände. Als Israel uns – auf diplomatischem Wege - um Hilfe in Form von Hardware bat, und zwar tat Israel dies im Anblick der eigenen Vernichtung, hielt sich Deutschland fein heraus und bot, als alles verbei war, „humanitäre Hilfe“ an. Ob da wirklich eine Lieferung von Gasmasken dabei war oder ob es sich um eine unendlich geschmacklose Zeitungsente handelte, habe ich nie erfahren. Ab dieser Zeit habe ich Schwierigkeiten, meine Heimat mit dem Begriff „Vaterland“ in eine Linie zu bringen.
Mein Vater hätte sein letztes Hemd gegeben.

Aber der Adler erschien mir wie der Geier aus Disneys „Dschungelbuch“, ein wenig ganovengesichtig und nur auf den eigenen Vorteil bedacht.

Nach der sozial-liberalen (es gab mal eine „liberale“ Partei in Deutschland, die Älteren werden sich noch erinnern) Koalition bekam der Adler in meinen Augen eine bedenklich hummelförmige Figur und der stolze Adlerschnabel wandelte sich in ein Papageiengebiss um. Und wie aus diesem, ein Adler kennt die Bedeutung der Worte nicht, die er spricht, eine sinnlose Anordnung von Wörtern quoll, so auch aus jenem, nur bei jenem klang es lustiger, wenn es zum Beispiel von den „Puben und Mädeln ta traußen im Lande“ sprach, und bei jedem Wort bedeutungsvoll in den Himmel schaute.

Und gerade dieser Karikatur von einem Machtmenschen fiel die „Einheitserrichtung“ in den Schoß. Ihm, und seinem Teltschik. „Wiedervereinigung“ in diesem Sinne ist nicht p.c., weil alle nach 1949 in diesem Land Geborene noch nicht mit den Brüdern jenseits der Zonengrenze vereinigt war. Die DDR-Volkskammer schuf sich eine Institution, die sie „Treuhand“ nannte und dem Lande drüben den Rest gab. Es „abwickelte“.
Viele Betriebe der sowieso nur sehr bedingt sinnvoll produzierenden Industrie gingen für einen Apfel und ein Ei komplett, samt Toilettenpapier, nach China, wo sie halfen, das „Gelbe“ Wirtschaftwunder aufzubauen.

Damals kramte ich zum vorletzten Male die Karikatur hervor. Das alte Zeitungspapier wurde schon brüchig, aber ich sah deutlich die langsame Metamorphose des alten Reichsadlers in eine Pekingente.

Als ich sie mir gestern, am 25. Jahrestages der von Gorbi geschenkten Einheit wieder einmal ansah, hatte sie endgültig die Form des Bundesadlers aus dem Berliner Parlamentsgebäude. Satt, zufrieden, Bonn erprobt und wohl gerade ein Bäuerchen aufstoßend, sah er mich an. Und ich muss gestehen, so gefiel er mir am besten. Weit entfernt vom Wörtchen „Macht“. Dafür aber in unsichtbaren Lettern auf dem Bauch stehend „Zuverlässig und verantwotungsbewusst“.

Und nach 25 Jahren der Einheit sind wir denn nun doch zu EINEM Volk geworden. Mit Haken und Ösen und aller Unvollkommenheit eines Gebildes von Menschen.

Wolf
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Registriert: 24.02.2008, 20:05

Beitrag von Wolf »

Das mußte ich zweimal lesen.
Klasse !!!

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JürgenB
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Re: Ein Vierteljahrhundert.

Beitrag von JürgenB »

gutenberg hat geschrieben:...nur bei jenem klang es lustiger, wenn es zum Beispiel von den „Puben und Mädeln ta traußen im Lande“ sprach, ...
Kleine Korrektur: er sagte immer "...im Lamnde".

Noch eine kleine Erinnerung: die Nationalhymne in der Schöneberger Fassung. Die taz braschte die nur wenige Tage später als Schallfolie für ihre Abonennten heraus. Das ist die einzige Version, von "Einigkeit und recht viel Freizeit..." die ich mir mit Genuss reinziehe.

Ja, das ist wahre "Köstlichkeit von Gechichte", wie der Dicke das auch mal zum Besten gegeben hat.
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