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Ich heiße Gisela Majewski, bin am 17. August 1933 in Gelsenkirchen geboren. Hab also meine ganzen Lebensjahre bis jetzt in dieser Stadt verbracht. Bis auf ein paar Evakuierungsjahre im Krieg. Ich fahre leidenschaftlich gern in Urlaub, würde aber eigentlich nie woanders wohnen wollen als hier. Ich bin eine echte Ruhrpötterin.
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Ich wohne jetzt seit 4 Jahren hier im „Weißen Riesen“ in einer 40qm Wohnung, bin alleinstehend seit einigen Jahren und fühle mich hier sehr wohl. Dies ist die 11. Wohnung seit meiner Geburt, in der ich in Gelsenkirchen wohne. Von meinen Babyjahren an, bis bei meinen Eltern, dann noch mal als junge Erwachsene, dann hatten wir erst bei den Schwiegereltern ein Zimmer, bis wir die erste eigene Wohnung hatten, ohne Kinderzimmer. Dann kamen rasch drei Kinder, dann brauchten wir eine Wohnung mit Kinderzimmern, haben wir auch gekriegt, und dann starb der Schwiegervater und weil wir die ersten zwei Jahre so gut bei denen gewohnt haben und uns die Oma einzugehen schien, habe ich dann irgendwann gesagt: „Sollen wir die Oma nicht zu uns nehmen? Die geht uns ein.“ Da sagte mein Mann, es ging um seine Mutter: „Wenn du meinst...“ Und dann haben wir.
Oma wollte aber nicht aus Heßler raus, wo sie immer gewohnt hat. Dann haben wir eine 120 qm Riesenaltbauwohnung, wo wir zu 6 auch alle Platz hatten. Die Kinder hatten ihre Zimmerchen, wir hatten auch eins und Oma hatte das schönste Zimmer eigentlich. Das war ein Wohnzimmer mit so einem Klappbett. Gesessen hat sie da nie. Nur wenn sie schlafen ging. Also Oma und wir saßen hautnah beieinander. Nach einem halben Jahr habe ich gewusst: Das ist falsch. Nicht dass die Oma ein Drache war. War sie nicht. Aber 3 halbwüchsige Kinder, wir waren selber noch jung, 15 Jahre verheiratet damals, und jetzt die alte Frau von über 70, die ganz andere Vorstellungen hatte. Die hat gedacht, wir sitzen wirklich Hand in Hand mit ihr vor dem Fernseher. Die Kinder gingen ihre Wege schon und wir natürlich auch. Da hat sie immer gesagt: „Ich sitze die meiste Zeit doch allein hier.“ Aus verschiedenen Blickwinkeln eben, jeder hatte eine andere Vorstellung.
Nach einem halben Jahr wusste ich also, das war falsch und kriegte dann Depressionen, weil ich dachte, ich kann doch die alte Frau nicht auf die Straße setzen. Die Depressionen kamen für alle – auch für mich – aus heiterem Himmel. Ich hatte überhaupt keinen Grund für Depressionen. Das habe ich erst im Laufe von Jahren rückblickend gemerkt, woran es eigentlich gelegen hatte. Aus diesem halben Jahr, wo ich wusste, das war verkehrt, sind 7 Jahre geworden. Und dann hat es mal fürchterlich gekracht zwischen der Oma und mir und dann ist sie auch ausgezogen. Danach war es wieder gut. Aber sieben Jahre bei ihr immer nur so ein Fitzelchen unter den Teppich kehren, das ergibt dann auch so einen Berg. Keiner von uns hat sich getraut. Sie hat gedacht, ich bin immer krank, da muss sie für die Familie da sein. Und ich habe gedacht, ich habe doch die alte Frau zu mir geholt. Jetzt muss ich sie solange bei mir lassen, bis sie nicht mehr da ist. Also falsch verstandene Rücksichtnahme von beiden Seiten. So. Dann hat es mal gekracht aus irgendeinem Anlass. Dann kam von ihr der Wunsch auszuziehen. Dann habe ich gesagt: „Mensch, Oma, hättest du es mir vor 3 - 4 Jahren gesagt...“. „Ja, aber du warst ja krank. Konnte ich doch nicht.“ Und ich habe mich auch nicht getraut. Also haben wir uns 7 Jahre ein bisschen gequält. Die letzten 3 Jahre waren die schlimmen, als wir 1977 nach Erle gezogen sind. Die Oma wollte nie aus Heßler weg und ich habe mir gedacht, ich muss sie mitnehmen. Beide haben nichts gesagt und haben den Umzug gemacht. Warum sind wir nach Erle gezogen? Alles was wir eingespart hatten, hatten wir in diese Altbauwohnung reingesteckt. Es war ein uraltes Haus, gegenüber vom Jahnbad. Ein Haus von 1900. Wir mussten die Böden begradigen, damit wir überhaupt Teppichboden legen konnten. Mein Mann hat Holzpaneele an die Wände gesetzt, weil sie krumm und schief waren. Die alten Fenster, die gemacht werden sollten, als wir einzogen, sind nach 4 Jahren gemacht worden. Kurz vor dem Auszug haben wir den Dreck noch mitgekriegt. Es war eigentlich nicht mehr auszuhalten.
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Fortsetzung folgt.