LebensgeschIchte - Ein Italiener in Gelsenkirchen

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zuzu
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LebensgeschIchte - Ein Italiener in Gelsenkirchen

Beitrag von zuzu »

Hier ist die Geschichte eines italienischen Einwanderers, der in Deutschland und insbesondere in Gelsenkirchen eine Heimat gefunden hat. Er möchte nicht erkannt werden und deswegen wird er nicht mit vollem Namen genannt. Aus demselben Grunde gibt es auch keine Fotos.
Viel Spaß beim Lesen dieser, wie ich finde, anrührenden Geschichte.

Ich, Giuseppe, wurde am 2.7.1940 in Faiano in der Provinz Salerno geboren. Salerno liegt 70 Kilometer südlich von Neapel. Faiano ist ein kleines Städtchen mit ca. 4000 Einwohnern. Es liegt zwar nicht am Meer. Aber von meinem Elternhaus aus konnte ich das Meer sehen.

Mein Vater war Viehhändler und handelte hauptsächlich mit Kühen. Meine Mutter, die auf einem Bauernhof groß geworden war, war zwar Hausfrau, hatte aber ein großes Feld, auf dem sie Tomaten und allerlei Gemüse anbaute. Die Tomaten wurden dann an Fabriken verkauft.
Ich bin freiwillig zum Militär gegangen und habe die Marine-Schule in Venedig besucht. Nach einem Jahr kam ich zurück. Für weitere sechs Jahre unterschreiben, wollte ich nicht. Ich wusste aber auch nicht so richtig, was ich machen wollte. In Italien boten sich keine großen Möglichkeiten, ich hatte Fernweh, wollte etwas Anderes als das schöne Italien kennen lernen.
Und da sagte einer: „Lass uns nach Holland gehen! Das soll so schön sein!“ Wir saßen vor dem Haus und quatschten und da kam einer vom Arbeitsamt vorbei und sagte: „Warum nicht nach Deutschland?“ – Wieso? Nee, da ist zu viel Dreck überall! – Kommt morgen vorbei. Dann erkläre ich euch das.

Inzwischen waren wir zu viert. Wir sind also zum Arbeitsamt gegangen, wurden untersucht, haben einen Antrag gestellt und unterschrieben. Und dann ging es nach NRW. Ich war 21, hatte keine Ausbildung. Ich hatte alle möglichen Jobs gemacht: Tankwart an der Tankstelle des Schwagers, Uhrmacher und sogar nähen und Haare schneiden! Das kann ich alles heute noch!
Und dann kamen wir Anfang Oktober 1961 in Gelsenkirchen an. Warum Gelsenkirchen? Wir konnten uns mehrere Orte aussuchen. Einer von uns hatte einen Onkel, der in Deutschland gewesen war. Er war in Frankfurt und in Düsseldorf gewesen und sagte: „Gelsenkirchen! Da war ich noch nicht. Aber da müsst ihr hin. Das ist eine schöne Gegend, am Fluss, am Rhein und so“. Er hat uns beeinflusst. Er war wahrscheinlich im Krieg hier gewesen.

Aber der erste Eindruck war ziemlich düster. Einer von uns ist nach 2 oder 3 Tagen sofort zurückgegangen. Eigentlich wollte ich auch sofort wieder weg. Aber ich wollte meiner Mutter nicht Recht geben. Sie hatte nämlich gemeint, ich würde ganz schnell, höchstens nach 3 Tagen, wiederkommen! Wir kamen am Bahnhof an und waren sehr enttäuscht.
Gleich bei der Ankunft trafen wir einen Dolmetscher, Giovanni. Er fragte: „Was wollt ihr essen?“ Wir sagten: „Was schon! Spaghetti!“ Und da hat er schon gelacht! „Ja, sagt er! Machen wir!“ Und da bekamen wir so eine Pampe, wie schon vorgekaut! Das hatte er gewusst und hatte das extra gemacht! Heute ist es natürlich nicht mehr so! Aber das war die erste Enttäuschung. Und dann das Wetter!

Wir wohnten in einem Wohnheim in der Wanner Str. Es war eigentlich eine Baracke. Zum Glück hat sich einer um uns gekümmert und hat für uns gekocht.
Ich hatte einen Arbeitsvertrag mit dem „Schalker Verein“. Die Arbeit war ziemlich hart und das war ich nicht gewohnt. Danach hatte ich ein Zimmer in einer Wohnung mit mehreren Italienern direkt am Bahnhof. Diese Häuser gibt es alle nicht mehr.
Deutsch habe ich auf der Straße gelernt. Viele lernen an der Uni oder so. Aber für uns gab es keinen Kurs. Und wenn wir Probleme hatten, gingen wir zur Eisdiele „Lorenzo“ und er half uns. Die gibt es auch nicht mehr. Die erste Zeit war auf jeden Fall nicht einfach. Es gab zwar in der Kaufhalle schon viele italienischen Waren aber keine italienischen Restaurants.

Ich war nach Deutschland gekommen, um das Glück zu finden. Das habe ich nicht gefunden. Dafür aber die Liebe. Ich habe nämlich meine Frau im Februar 1962 kennengelernt und zwar im Westfalenkaufhaus (Weka), wo sie als Verkäuferin arbeitete.
1963 haben wir dann geheiratet und sind in die Ottilienstr. gezogen. Die Schwiegermutter war nicht begeistert! Ein Ausländer! Ihr Vater war Pole und das war eigentlich nicht das Richtige gewesen. Es sollte kein Ausländer mehr in die Familie kommen. Aber das Schlimmste war, dass wir ein Kind bekamen und nicht verheiratet waren!
Und dann wurde auch dieses Haus abgerissen! Überall, wo wir gewohnt haben, wurden die Häuser abgerissen!!! Wir mussten uns also eine neue Wohnung suchen und es war 1965 nicht so einfach. Wir hatten inzwischen zwei Kinder und das vereinfachte die Wohnungssuche nicht gerade. Für Hausbesitzer hieß es: erstens Ausländer, zweitens kinderreich! Aber da unser Haus abgerissen wurde, bestand die Pflicht, uns unterzubringen. Und so haben wir die Wohnung im Berger Feld bekommen, in der wir seit 1966 wohnen. Es war damals ein ganz neues Gebäude.
Inzwischen sind wir sogar Eigentümer!

Meine Frau hat 1969 aufgehört zu arbeiten, als das dritte Kind kam. Ich fing 1970 bei der Firma Elba-Ordner als Kraftfahrer an.
1991 bin ich dann wegen Krankheit in Frührente gegangen.
Früher habe ich oft Heimweh gehabt, aber ich bin dann auch jedes Jahr in die „Heimat“ gefahren, wo meine Familie noch lebt. Aber Deutschland ist auch meine Heimat. Hier sind die wichtigsten Leute: meine Kinder, meine Enkelkinder und natürlich meine Frau! Ich kam ganz allein hierhin und meine Freunde sind alle zurückgegangen. Aber jetzt habe ich eine Familie!
Mein Bruder ist auch hierhergekommen, weil er nicht zum Militär wollte. Er war 17 oder 18. Der musste bis zum Alter von 27 hier bleiben. Immer, wenn er nach Italien gefahren ist, musste er zum Konsulat, dort angeben, wie lange er in Italien bleiben wollte. Er musste sich bei den Carabinieri melden. Bevor er zurückfuhr, musste er noch einmal zur Polizei, sonst hätten sie ihn festgenommen. Er hat aber dann auch hier seine deutsche Frau kennengelernt und ist hier geblieben. Und da war mir meine Mutter böse! Er lebt immer noch hier und hat Kinder und Enkelkinder.

Ich hatte fast nur deutsche Freunde und habe nie Probleme gehabt. Im Gegenteil! Ich war der Figaro! Alle haben mich aufgesucht, damit ich ihnen die Haare schneide!

Bei uns wird italienisch gekocht, mit mehreren Gängen. Aber eigentlich gibt es keine italienische Küche sondern unterschiedliche regionale Küchen. Es gibt 18 Regionen. Ich koche gern. Meine Frau darf auch in die Küche, aber zum Essen.
In den 70er Jahren hat sie Auberginen gekauft und da hat der Verkäufer sie gefragt, was das ist, was man damit macht. Aber ich wusste das!
Ich koche zum Beispiel gern frische Nudeln: Parpadelle oder Tortellini. Zwei Minuten. Ein bisschen Öl, Knoblauch dazu und wieder raus. Dann die Nudeln in das Öl geben, ein bisschen Olivenöl, Parmigiano und fertig! Geht schnell! Bei uns kommt die Frage „Was sollen wir kochen?“ nicht. Einmal habe ich meine Frau gefragt: „Was sollen wir heute kochen?“ – „Ist mir egal.“ sagte sie. Das konnte ich nicht. Das habe ich nicht gefunden.

Ich mache gern Scherze! Ein Arzt hat zu mir gesagt: Wenn ich kindlich bleibe, habe ich ein langes Leben vor mir!

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