Mein Name ist Mohamad

Gelsenkirchener blicken auf ihr Leben zurück und erzählen

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Mein Name ist Mohamad

Beitrag von zuzu »

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Ich habe einen jungen Mann namens Mohamad vor kurzem getroffen und er hat mir seine bemerkenswerte und beeindruckende Lebensgeschichte erzählt.
Hier ist der erste Teil.


Mein Name ist Mohamad Akkour. Ich bin gerade 23 Jahre alt und bin gebürtiger Syrer. Ich bin in Aleppo geboren, in einer „normalen“ Familie. Mein Vater ist Bauingenieur, meine Mutter hat Abitur gemacht und wollte Lehrerin werden. Aber dann ist sie Mutter geworden und konnte ihren Wunsch nicht realisieren. Das Leben war in Syrien so gestaltet, dass es nicht möglich war. Ich habe drei Schwestern: die Älteste ist Kinderärztin, die Zweitälteste ist jetzt IT-Ingenieurin und die Jüngste macht bald Abitur. Ich bin der Zweite.
Ich bin 2015, nachdem der Krieg in Syrien ausgebrochen ist, geflüchtet. An dem Tag, an dem ungefähr 20 Meter von mir entfernt eine Bombe explodiert ist und ich hilflos und perspektivlos und mit allen negativen Gefühlen, die man in einem solchen Moment spürt, - Wut und Traurigkeit darüber, dass man nichts machen kann, - gerannt bin, habe ich meinem Vater gesagt, dass ich nicht mehr in Syrien bleiben möchte. Es gab viele Menschen in der Zeit, die sich auf den Weg gemacht haben, unter anderem ein Cousin von mir, der älter ist als ich. Ich wollte also mit ihm gehen, um mich bei der Reise sicherer zu fühlen. Aber ich musste erstmal aus Syrien in die Türkei flüchten, wo er schon lebte.
Normalerweise konnte man legal aus Syrien in die Türkei reisen, aber ich war damals minderjährig und durfte kein Flugzeug ohne Begleitung nehmen. Da mein Vater quasi Beamter war und für den Staat arbeitete, durfte er das Land nicht verlassen. Meine Mutter konnte mich auch nicht begleiten, weil meine Schwestern sie brauchten. Sie hatte außerdem auch keinen Pass zu der Zeit. Es war alles sehr schwierig. Deswegen sind mein Vater und ich unter sehr harten Bedingungen illegal in die Türkei gereist. Damals war Aleppo, so ähnlich wie Berlin, geteilt. Ein Teil war unter der Macht der Regierung und im anderen Teil waren die Rebellen. Wir mussten also die Seite wechseln. Die Reise war wirklich sehr schwierig, so dass ich tatsächlich ohnmächtig geworden bin. Wir kamen zu einem Punkt, wo Schleuser waren und außer uns waren unheimlich viele Leute da. Wir mussten hinter einem kleinen Berg hocken und auf das Signal des Schleusers warten und dann ganz schnell über diesen kleinen Berg rennen, um die Grenze zu passieren. Es bestand die Gefahr, dass die türkischen Soldaten uns entdecken und uns verhaften oder sogar auf uns schießen. Das war einfach zu viel für mich und ich bin also ohnmächtig geworden, so dass mein Vater mich tragen musste. Zum Glück gab es auch junge Menschen, die ihm geholfen und mich auch getragen haben.
Ich bin erst in der Türkei wieder zu mir gekommen, in einem Bus und ich wusste überhaupt nicht, wo ich war und was passiert war. Mein Vater hat mir alles erzählt und dann fühlte ich mich in Sicherheit. Wir sind von da aus zu meiner Tante gefahren, die bei Ausbruch des Krieges in die Türkei geflohen war. Dort habe ich meinen Cousin getroffen und es kam noch ein weiterer Cousin dazu, so dass wir zu dritt die Reise antreten wollten. Dieser Cousin hat sich nicht wohl in der Türkei gefühlt und brauchte neue Perspektiven. Im Gegensatz zu mir waren meine Cousins nicht minderjährig. Sie waren 18 und 24.
Wir sind von Mersin aus, wo meine Tante wohnte, nach Izmir gefahren und dort haben wir wieder einen Schleuser getroffen. Es gab verschiedene Stellen, wo man Schleuser treffen konnte. Bei uns war es ein Restaurant, in dem wir uns öffentlich mit ihm getroffen haben und uns ausgetauscht haben. Wir mussten Geld über einen dritten bezahlen und für den Fall, dass wir es nicht nach Deutschland schafften, bzw. nach Griechenland, dürften wir es ein zweites Mal kostenlos versuchen. Für syrische Verhältnisse war es sehr teuer: wir haben 1300 Euro für jeden bezahlt.
Wie ihr das wahrscheinlich alle schon im Fernsehen oder in der Presse gesehen habt, fand die Reise in einem Schlauchboot statt, das gar nicht für eine Reise übers Mittelmeer geeignet war. Es war absolut nicht sicher. Es war für kleine Fahrten am Strand entlang oder so, mit 2 oder 3 Personen geeignet. Jetzt kamen ca. 30 Personen zusammen. Wir mussten das Boot selbst aufpumpen und wir hatten auch keinen Bootsmann. Das musste einer von uns machen. Es gab niemanden, der sich damit auskannte. Das Boot war mit einem kleinen Motor ausgestattet aber wenn es technische Probleme gegeben hätte, wären wir aufgeschmissen gewesen. Wofür war dann das Geld, das der Schleuser kassiert hatte? Es war dafür da, dass wir von Izmir an den Strand an den vielen Polizisten vorbei kamen und für das Schlauchboot, das nach der Ankunft in Griechenland nicht zurückgeschickt werden konnte und somit vernichtet werden musste.
Die Reise hat begonnen, das Boot war aufgepumpt, es waren viele Frauen und Kinder auf dem Boot. Am Anfang hat es nicht funktioniert und der Schleuser musste mitschwimmen und das Boot anschieben. Dann hat es zum Glück geklappt und nach ungefähr anderthalb Stunden sind wir in Griechenland, auf einer griechischen Insel, deren Namen ich vergessen habe, angekommen. Wir hatten Glück, dass das Meer ruhig war. Es war ungefähr zwei oder drei Uhr nachts. Wir hatten ein gutes Gefühl, weil wir ungefähr 50% geschafft hatten und zumindest nicht mehr im Mittelmeer ertrinken und sterben mussten. Die griechische Polizei hat uns dann gesagt, was wir zu tun hatten. Wir mussten über einen Berg laufen und da gab es eine erste Stelle, an der Flüchtlinge aufgenommen wurden. Man hat uns einen Bus zur Verfügung gestellt und uns zum Hafen gebracht. Für 70 oder 80€ sind wir dann mit einer Fähre nach Athen gefahren und dort hat man uns Richtung Mazedonien geschickt.
Aus Mazedonien ging es zum nächsten Land. Zum Teil mit Bussen, zum Teil zu Fuß. Wir hatten jedes Mal eine Bescheinigung dabei, dass wir nur auf der Durchfahrt waren. Das haben uns die meisten Länder gegeben. In Serbien waren ca. 3000 Menschen in einer langen Schlange, die sich überhaupt nicht bewegte. Wir hörten auch, dass Deutschland die Grenzen schließen und keine Flüchtlinge mehr aufnehmen wollte. Wir hatten Angst, in Serbien stecken zu bleiben. Wir hörten dann von illegalen Schleusern, die uns über einen anderen Weg nach Ungarn bringen könnten. Aber ich war ein bisschen stur und wollte es trotzdem über den „offiziellen“ Weg versuchen. Im Gegensatz zu meinen Cousins stellte ich mich also in der Schlange an und habe dann doch die benötigte Bescheinigung bekommen, aber meine beiden Cousins waren nicht mehr da. Ich hatte sie aus den Augen verloren. Ich habe sie überall gesucht und zum Glück habe ich sie wieder gefunden. Die wollten mit einem Illegalen weiterfahren und ich sollte auch mit. Es war aber nicht sicher, es war nachts und ich hatte kein gutes Gefühl. Es war zu viel für mich. Ich hatte den Eindruck, dass diese Schleuser uns töten wollten und unsere Organe nehmen wollten oder was auch immer. Ich habe sicher dramatisiert, aber ich hatte Geschichten von Schleusern gehört, die Organe entnehmen und verkaufen. Wir hatten auch noch ein bisschen Geld dabei und ich befürchtete, dass wir bestohlen werden. Ich hatte richtig Angst und bin dann weggerannt und habe dem Soldaten, der mir die Bescheinigung gegeben hatte, gesagt, dass dort Menschen waren, die uns mitnehmen und töten wollten Er hat dann rumtelefoniert und hat dann dafür gesorgt, dass meine beiden Cousins die Bescheinigung auch bekommen haben und dann konnten wir mit dem Bus weiter nach Ungarn und anschließend mit dem Zug nach Kroatien.
Die Züge waren überfüllt und wir mussten über mehrere Stunden hocken. Von Kroatien ging es dann weiter nach Österreich und das war die vorletzte Station vor Deutschland. Dort sind wir zum ersten Mal in ein Hotel gegangen. Wir hatten nämlich 10 Tage nicht mehr geduscht, keine Nacht richtig geschlafen. Nur im Bus ein bisschen. Wir haben uns im Hotel sicher gefühlt. Und dann sind wir weiter nach Deutschland gefahren.
Bei mir war es so, dass mein Vater 2007 und 2008 über seine Arbeit ein Visum bekommen und Deutschland besucht hatte. Und auch andere europäische Länder. Aber damals hatte er mir schon gesagt, dass er mich gerne nach Deutschland zum Studium schicken würde, weil er die Deutschen sehr bewundert. Deswegen wollte ich unbedingt nach Deutschland. Aber auch weil ich Fußball liebe. Ich habe sehr gerne deutschen Fußball geguckt.
Wir wurden von Österreich nach Deutschland transportiert. Zunächst nach München. Von da aus dann nach Berlin. Uns wurde aber gesagt, dass in Berlin alles sehr lange dauert und dass wir keine Möglichkeit hätten, uns zu Recht zu finden, weil es eine sehr große Stadt ist und dort sehr viele Flüchtlinge sind. Deswegen hat man uns empfohlen, nach Nordrhein-Westfalen zu gehen. Zuerst waren wir in einem sehr kleinen Dörfchen, Unna. Dort gab es eine Flüchtlingsaufnahmestation, ein Camp mit 10 Häusern, in denen Geflüchtete untergebracht wurden. Sie haben uns registriert und wir sind ca. 2 Wochen geblieben. Danach wurden wir nach Hamm mit dem Bus gebracht. Dort war die 2. Aufnahmestelle, in einem ehemaligen Krankenhaus. Da sind wir auch zwei bis drei Wochen geblieben. Es gab keine Möglichkeit, etwas zu machen, außer schlafen. Es gab wohl ein paar Ehrenamtliche, die bereit waren, uns Deutsch beizubringen. Aber es war eher für kleine Kinder gedacht. Wir haben uns also nicht sehr wohl gefühlt und wir wussten, dass wir noch mal weitergeschickt werden. Und dann kam die Nachricht, dass wir nach Gelsenkirchen kommen. Zuerst nach Ückendorf, in einem Flüchtingsheim. Wir hatten ein Viererzimmer, es kam also noch eine Person dazu. Dort wurde uns gesagt, dass wir uns selbst eine Wohnung suchen können. Aber wir konnten kein Deutsch… Da kam dann ein Ehrenamtlicher, der aber wahrscheinlich etwas Provision bekam, und bot uns eine Wohnung in Horst an. Er meinte, sie passe zu uns und die Miete entsprach dem, was wir zahlen durften. Wir haben sie also genommen, weil wir Privatsphäre und Sicherheit wollten, um uns dann dem Spracherwerb und der Schule zu widmen.
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Re: Mein Name ist Mohamad

Beitrag von zuzu »

Hier die Fortsetzung:

Hier startet nun der zweite Teil unserer Geschichte. Das Ankommen in Deutschland! Wir hatten eine gut renovierte Wohnung, vielleicht ein bisschen weit entfernt vom Zentrum, aber es war uns egal, denn wir wollten unbedingt eine eigene Wohnung haben. Im Flüchtlingscamp war alles laut und chaotisch und wir brauchten Ruhe. Wie bei allen Minderjährigen wurde mir vom Jugendamt eine Betreuerin zugeteilt, die ich sehr sehr mag. Ich verdanke ihr meinen Erfolg. Sie hat wirklich sehr geholfen. Sie war absolut wichtig für mich und hat alles Mögliche getan, um mich zu unterstützen.
Im Flüchtlingscamp war ein syrischer Dolmetscher, auch aus Aleppo, der schon sehr lange in Deutschland lebte. Er hat nicht fließend Deutsch gesprochen aber es hat ausgereicht, um mit den Beamten zu kommunizieren. Er hat Arabisch und Deutsch gesprochen und ich habe ein bisschen von ihm gelernt. Ich habe versucht, von allen Menschen zu lernen. Ich war motiviert und wollte unbedingt die Sprache lernen, denn mir war klar, ohne die Sprache kann man hier nicht weiterkommen. Ich wollte mich hier verwirklichen und eine neue Heimat finden. Ich habe mit der Betreuerin geschrieben und gesprochen, soweit es ging. Ich habe ihr zum Beispiel gesagt, dass ich die Schule besuchen wollte. Ich wollte nämlich keine Zeit verlieren und sofort starten.
Sie hat mich zu einem Test geschickt, damit man feststellt, welche Schule zu mir passt und ich wurde dem Annette-von-Droste-Hülshoff-Gymnasium zugeteilt. Zuerst war ich in einer internationalen Förderklasse, wo wir nur Deutsch, Mathematik und ein bisschen Englisch hatten. Da hatte ich wieder großes Glück. Ich hatte einen tollen Lehrer, der alles gemacht hat, um uns Deutsch beizubringen. Er hat es mit sehr viel Liebe und sehr professionell gemacht. Er hat uns Geschichten erzählt, Lesen geübt, alles Mögliche. Und sehr verständlich für uns. Er konnte kein Arabisch aber er war sehr neugierig und hat auch versucht, arabische Wörter nachzusprechen. Er hat wirklich alles getan, damit wir Spaß beim Lernen hatten, was ja bei Kindern sehr wichtig ist. Das hat mich natürlich noch mehr motiviert. Ich habe mir gedacht, wenn die Menschen hier alles tun, damit wir es schaffen, dann muss ich mir mehr Mühe geben, um Ihnen zu zeigen, dass ihre Arbeit nicht umsonst ist. Dann habe ich also auch mit allen möglichen Mitteln gelernt. Ich habe in meinem Zimmer überall Karteikarten mit Wörtern aufgehängt. Ich wollte auch nicht nur Wörter lernen, sondern auch sprechen und mit Menschen kommunizieren. Ich habe also auf der Straße Interviews gemacht und Leute angesprochen, mit ihnen geplaudert. Ich hatte mir Fragen aufgeschrieben und habe dann Leute auf der Straße angehalten und ihnen meine Fragen gestellt. Die meisten waren nett und haben mir sogar geholfen und die Fragen beantwortet.
Ich kam dann auch relativ bald in die reguläre Klasse für bestimmte Unterrichtsstunden. Und nach und nach wurde ich dann integriert. Meine Cousins hatten leider nicht diese Möglichkeit, weil sie volljährig waren. Sie haben einen Sprachkurs besucht, aber es ging viel zu langsam. Mittlerweile sprechen sie ganz gut Deutsch denn sie waren auch sehr motiviert.
Ich wollte in der regulären Klasse bleiben und auch die Klassenarbeiten schreiben. Wenn ich mir die Arbeiten von damals angucke, frage ich mich jetzt, was ich da geschrieben habe. Aber ich habe es trotzdem versucht. Die Lehrer haben beim Korrigieren bestimmt sehr lange gebraucht, um rauszukriegen, was ich da sagen wollte aber sie haben es wertgeschätzt. Am Ende des Schuljahres haben meine Betreuerin und ich ein Gespräch mit dem Schulleiter geführt. Ich hatte nach ungefähr sechs Monaten halbwegs gut Deutsch gelernt aber der Schulleiter hat mir empfohlen aufs Schalker Gymnasium zu gehen, um das Abitur dort zu machen. Das Schalker Gymnasium hatte, im Gegensatz zum AVD, G9 und dadurch hatte ich ein Jahr länger Zeit, mich auf das Abitur vorzubereiten und meine Sprache vor allem im Schriftlichen zu verbessern. Ich bin am Tag der offenen Tür dahin gegangen, habe mir die Schule angesehen, die Schülerinnen und Schüler ein bisschen beobachtet und hatte ein sicheres Gefühl. Ich ging dann in die 10. Klasse, ganz regulär, und musste die Arbeiten schreiben. Alles wurde benotet, ganz normal. Zum Glück hatte ich tolle Kollegen, die mich unterstützt haben. Sie haben mich herzlich aufgenommen. Ich fühlte mich wie ein „normaler“ Schüler und wurde nicht besonders behandelt, weil ich geflüchtet bin. Das war für mich sehr wichtig, ich wollte kein Außenseiter sein und auffallen. Ich wollte auch Witze machen. Viele dachten: Ja, er kommt aus dem Krieg, er ist traumatisiert. Aber ich wollte ihnen zeigen, dass ich ein ganz „normaler“ Schüler bin. Ich kann die Sprache nicht so gut, aber trotzdem will ich Witze machen, Fußball spielen etc… und das habe ich auch gemacht. Ich hatte in Horst einen Fußballverein ausgesucht, um nochmal die Sprache nach der Schule zu lernen und habe dort zwei Jahre gespielt. Aber als es ums Abitur ging, habe ich aufgehört, damit ich mehr Zeit fürs Lernen hatte.

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Ich habe dort wirklich Freunde gefunden, unter anderem der Lukas, mit dem ich das erste Mal in Urlaub gefahren bin. Er ist mit seiner Familie in die Niederlanden gefahren und sie hatten noch ein Zimmer frei. Es war für mich sehr wichtig, auch um die Sprache zu lernen und zu üben, denn ich würde dann über zwei Wochen nur Deutsch sprechen. Das hat mir auch einmal mehr das Gefühl gegeben, dass ich hier willkommen bin. Und dass die Menschen mich verstehen. Es war allerdings sehr schwierig, weil ich keinen Aufenthaltstitel hatte. Ich war noch im Verfahren. Ich brauchte einen syrischen Pass, eine Genehmigung und dies und das und jenes und ich war zuerst traurig, weil ich dachte, ich dürfte nicht reisen. Aber die Betreuerin hat alles getan, damit es klappt und ich habe die Genehmigung bekommen. Mit meinen Kollegen aus der Schule bin ich immer noch befreundet, wir treffen uns regelmäßig und wir fahren auch gern zusammen in Urlaub.
Am Anfang war es etwas schwierig in der 10. Klasse. Mein Deutsch war gut genug, um zu kommunizieren aber schreiben musste ich noch besser üben. Bei den Klausuren wird alles benotet und da müssen die Lehrer auch verstehen, was ich meine. Ich musste noch verstehen und lernen, wie die deutschen Sätzen gebaut sind. Mithilfe von Hörbüchern habe ich die Sprache und die Struktur der Sprache gelernt. Ich habe von Anfang an viel YouTube gehört und ich liebe Sherlock Holmes. Also habe ich mir dort stundenlang Hörbücher von Conan Doyle angehört und ich habe per Zufall festgestellt, dass man auch den Text als Untertitel einschalten kann. Ich habe gemerkt, dass es eins zu eins zu dem Gehörten passte. Diesen Text habe ich dann aufgeschrieben und wenn ich etwas nicht verstand, habe ich es mithilfe eines Übersetzungsprogramms übersetzt. Ich habe Tausende von Blättern vollgeschrieben, um das Gefühl für die Sprache zu bekommen. Die Struktur einer Sprache ist sehr wichtig. Ich habe mir auch in der ZDF-Mediathek Serien mit Untertiteln angesehen und das war noch eine bessere, modernere Sprache. Scherlock Holmes war eher literarisch und manchmal sogar veraltet. Bei den Serien hörte ich alltägliche Sprache. Das hat mir noch mehr geholfen, meine Sprache auf mehreren Ebenen auszustatten. Auf der Schule habe ich die Jugendsprache gelernt und zu Hause sowohl die literarische als auch die alltägliche. Ich habe außerdem gelesen, Bücher gelesen. Und auch geschrieben. 2016 habe ich ein Theaterstück besucht und da wurde uns anschließend gesagt, dass die VHS eine Schreibwerkstatt anbietet, wo Geflüchtete über ihre eigene Geschichte schreiben lernen können und ich habe mich angemeldet. Ich habe dort Reimund Neufeld kennen gelernt, mit dem wir ein Buch gemacht haben. Er ist der Autor des Buches, das wir über die Jahre gemacht haben. Ich bin übrigens immer noch mit ihm befreundet und wir besuchen uns gegenseitig. Wir planen jetzt den dritten Teil unseres Buches.
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Wir haben damals also unsere Texte geschrieben. Einige haben in Arabisch geschrieben, ich habe in Deutsch und in Arabisch geschrieben. Wenn ich Wörter nicht kannte habe ich die Übersetzung gesucht. Ich habe also meine Sprache immer weiter verbessert. Und über die Jahre habe ich das Gefühl bekommen, dass ich gut schreiben kann, genauso gut wie meine deutschen Kollegen. Manchmal habe ich in der Schule sogar Wörter oder Sätze benutzt, die meinen Mitschülern fremd waren. Da haben sie sich manchmal gewundert: Dieser Junge aus Syrien benutzt Wörter und Sätze, die wir nicht kennen. Das war ein Moment, in dem ich ein bisschen stolz auf mich selbst war, weil ich so gut Deutsch gelernt habe. Ich habe die Klausuren mitgeschrieben und bin ins Abitur gegangen. Und da kam es natürlich auf die Sprache an. Ich habe also im Sommer nur Sprache geübt. Ich habe zum Beispiel ein Praktikum beim Ziegen-Michel gemacht und habe kleine Kinder betreut. Ich war zwar Betreuer, aber ich habe mit den Menschen drum herum, mit den ausgebildeten Erziehern und mit den Kindern weiter Deutsch gelernt und geübt.

Fortsetzung folgt!
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Helge Mai
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Re: Mein Name ist Mohamad

Beitrag von Helge Mai »

Hallo Mohamed,
das hast Du unheimlich spannend geschrieben.
Es ist schön zu lesen, dass Du in Deutschland angekommen bist und dass es Dir gut geht.
Solche Geschichten machen mir Mut.
Ich freue mich auf die Fortsetzung!

Glück Auf!
Helge

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Re: Mein Name ist Mohamad

Beitrag von zuzu »

Und hier kommt der letzte Teil!

Zudem habe ich mich ehrenamtlich engagiert. Ich wollte mich unbedingt in die Gesellschaft einbinden und zeigen, dass wir Geflüchtete Teil dieser Gesellschaft und nicht nur von außen betrachtet Geflüchtete sind. Mit den Jahren wollte ich in Gelsenkirchen etwas erreichen, studieren, arbeiten , Steuern zahlen, unsere Gesellschaft, unsere Stadt hier besser machen und mich einbringen. Deswegen habe ich den Weg in die Politik gefunden. Ich habe zuerst in alle Parteien reingeschaut, wollte rauskriegen, welche Partei für mich geeignet ist. Das war zum Beispiel in Syrien nicht möglich. Hier war es so, dass der damalige Oberbürgermeister Frank Baranowski mich sogar zu Hause besucht hat, weil meine Betreuerin ihm von mir erzählt hatte. Er war also neugierig und wollte sehen, wie ich die Sprache gelernt habe.
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Das hat mich völlig überrascht: Wieso, weshalb? Für einen Termin beim Oberbürgermeister in Syrien braucht man zig Genehmigungen und muss wahrscheinlich ein Jahr warten, bis man einen Termin bekommt. Und hier kommt er zu mir! Ich habe mich ein bisschen für unsere Wohnung geschämt. Aber er war total bescheiden. Bei uns gibt es eine Schranke zwischen einem Politiker und uns. Ich fand, dass ich damals noch nicht gut genug Deutsch sprach, um mit einem Politiker zu sprechen. Aber er hat mir das Gefühl gegeben, dass es nicht stimmt und das war für mich sehr wichtig. Er hat mir auch geraten, mich politisch zu engagieren, damit ich wirklich in Gelsenkirchen dazu gehöre. Das hat mich motiviert.

Ich bin zu fast jeder Partei gegangen und habe mich informiert. Über eine Kollegin meiner Betreuerin habe ich die SPD kennen gelernt und dort hat es mir gefallen und dann habe ich Frau Gebhard, die Landtagsabgeordnete gefragt, ob ich im Rahmen des Jugendlandtagprojektes ihren Platz drei Tage einnehmen könnte. Ich habe mich also beworben und sie wollte mich unbedingt kennen lernen und sie war auch erstaunt, dass ich die deutsche Sprache so gelernt habe und mich politisch engagieren will und mich in Gelsenkirchen so gut integriert habe. Und dann habe ich das gemacht.
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Ich habe dort gute Erfahrungen gemacht, mich mit anderen jungen Menschen ausgetauscht. Ich war der einzige syrische Geflüchtete. Da ist meine Leidenschaft für Politik geweckt worden. Weil ich aus Syrien komme, lege ich mehr Wert auf Politik und Teilnahme. Ich finde es sehr wichtig, weil jede Stimme zählt und wenn ich meine Stimme nicht einbringe, mein Wahlrecht, mein Recht auf Währung der Demokratie nicht ausübe, geht das alles verloren. Ich konnte zwar damals noch nicht wählen aber ich konnte mich zumindest engagieren. Das war meine einzige Waffe. Ich konnte andere Menschen überzeugen, dass sie sich politisch engagieren, dass sie sich mit allen demokratischen Parteien auseinandersetzen, um herauszufinden, welche zu ihnen passt. Ich habe auch meinen Mitschülern, die sich so gut wie gar nicht politisch engagierten, erzählt, wie toll es im Jugendlandtag war und sie aufgeputscht und dazu aufgemuntert, wählen zu gehen.

2019 habe ich mich dann über die SPD für den Integrationsrat aufstellen lassen. Ich war zwar noch jung aber ich bin Stellvertreter im Integrationsrat geworden. Ich habe meinen Mitschülern auch davon erzählt und die waren sehr beeindruckt, dass ich mich so schnell dahingetraut habe.

Ich habe dann am Schalker mein Abitur gemacht. Ich hatte die Leistungskurse Biologie und Mathematik. Ich habe sogar am Ende im Fach Deutsch 13 Punkte (1-) stehen gehabt, weil meine Sprache inzwischen so gut geworden war, dass meine Lehrerin meinte, sie könnte meine Arbeiten von den der Anderen nicht mehr unterscheiden. Das hat mich stolz gemacht. Ich habe mich auch mündlich sehr engagiert. Ich habe einfach die Sprache geliebt. Mein drittes Fach war Sozialwissenschaften und ich interessierte mich auf für Recht, also für Jura. Ich habe mich noch mit meiner Lehrerin beraten und sie meinte, Jura oder Wirtschaftsrecht (ich hatte ja LK Mathe) würden gut zu mir passen. Im Talentzentrum in Gelsenkirchen habe ich noch jemanden kennen gelernt, der mir ein bisschen Orientierung gegeben hat. Das hatte ich auf YouTube entdeckt und darüber habe ich die Kontakte geknüpft. Ich habe dort Suat Ylmaz kennen gelernt, der Schüler unterstützt, die genauso wie ich eine etwas andere Lebenserfahrung haben, als die meisten Schülerinnen und Schüler. Dort habe ich erfahren, dass man Wirtschaftsrecht an der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen studieren kann und sie meinten, dass es gut zu mir passt.
Dann habe ich also angefangen Wirtschaftsrecht zu studieren. Mittlerweile bin ich im 6. Semester, kurz vor der Bachelor-Arbeit und ich bin zufrieden mit meinem Studium. Aufgrund meiner Noten und meines politischen und gesellschaftspolitischen Engagements hatte ich auch die Möglichkeit ein Stipendium zu bekommen. Ich habe mich bei der Hans-Böckler-Stiftung beworben und bin seitdem Stipendiat.
Mir war von Anfang an klar, dass man nur etwas erreicht, wenn man das selbst in die Hand nimmt. Wenn man zu Hause auf seine Chance wartet, kommt sie vielleicht nicht. Ich möchte keine Zeit verlieren und zeigen, dass ich das kann.
You-Tube hat mir wirklich auch sehr geholfen. Dass ich einen PC hatte war total wichtig. Ich habe beim Jugendamt immer gefragt, bitte gebt mir einen PC. Dadurch hatte ich einen Übersetzer und wenn man YouTube vernünftig nutzt, kann man sehr davon profitieren. Ich habe es zum Sprachelernen genutzt, ich habe darüber Kontakte geknüpft, usw...
2020 habe ich im Sommer einen Antrag auf die deutsche Staatsangehörigkeit gestellt. Mir war das Recht gewährt worden, Asyl zu bekommen. Aber ich war noch im Verfahren. Wenn man Asyl hat, braucht man den syrischen Pass nicht vorzuzeigen und ich hatte auch keinen. Es ist sehr relevant, Asyl zu haben, um den Antrag stellen zu können. Aber zuerst musste ich warten, ich erfüllte noch nicht alle Voraussetzungen, insbesondere im sprachlichen Bereich, was mich wirklich sehr überrascht hat. Ich habe denen gesagt, dass ich Abitur gemacht habe und dass das dem Sprachniveau C2 entspricht. Fast wie ein Muttersprachler. Ich durfte dann also zumindest den Antrag doch stellen. Im Prinzip bekommt man die deutsche Staatsbürgerschaft erst nach 8 Jahren Aufenthalt. Aber nach 7 Jahren kann man sie beantragen, wenn man das Sprachniveau B2 erreicht hat. Man kann die Dauer auf 6 Jahre kürzen, wenn man sich in der Stadt gut integriert hat. Das konnte ich ja vorweisen. Ich habe alle Unterlagen mitgebracht, so dass der Sachbearbeiter sagte, es sei zu viel, so viel brauchte er ja nicht! Ich musste ein Jahr warten, bis es bearbeitet wurde. In der Zwischenzeit hatte ich endlich Asyl bekommen und jetzt bin ich seit 6 - 7 Monaten Deutscher, habe einen deutschen Pass und ich bin sehr neugierig und froh, dass ich bald auch noch wählen darf. Das ist mir sehr wichtig, weil das eine Waffe ist, die man bei sich tragen kann und soll, um die Demokratie zu bewahren und zu zeigen, dass wir hier angekommen sind. Ich fühle mich mittlerweile sehr Deutsch und wenn ich außerhalb Deutschlands bin, sage ich das. Ich fühle mich in diesem Land sehr wohl und würde alles tun, um den Frieden in diesem Land zu bewahren. Ich komme nämlich aus einem Land, dass aufgrund des Krieges alles verloren hat. Die Folgen sind fatal. Und die Generationen, die in dem Krieg aufgewachsen sind und die Generationen, die im Krieg gelitten und alles verloren haben, sind alle psychisch labil und sehr gestört. Viele haben Familienmitglieder verloren, ihr Zuhause verloren, Geld verloren, die Kinder haben das Wichtigste verloren, nämlich Bildung und Sicherheit. Wir sehen auch schon die Folgen. Syrien war ein sehr gebildetes Land mit vielen gut ausgebildeten Ärzten, Ingenieuren usw… Die Kinder brauchen die Bildung. Das ist ihr Kapital. Früher haben die Eltern alles für die Bildung gegeben und das geht nicht mehr, weil das Leben sehr sehr teuer geworden ist. Mein Vater, z.B., ist Ingenieur mit 20 Jahren Erfahrung und er bekommt 120 000 Lira, das entspricht 30€ im Monat und um sich das Minimum leisten zu können, braucht man ca. 300€. Er hatte sich zum Glück auch schon ein bisschen selbstständig gemacht und meine Eltern haben einen eigenen Lebensmittelladen. Außerdem hatten sie vor dem Krieg etwas gespart. Meine Eltern und ich auch versuchen, meine Familie zu unterstützen. Ich würde sie gerne aus Syrien rausholen, weil das Leben in Syrien nicht mehr möglich ist. Meine Schwester ist Ärztin. Wenn sie in Syrien praktiziert, wird sie kaum Gehalt bekommen. Und selbst wenn sie eine Praxis aufmachen könnte, können die Leute noch nicht mal den Arzt bezahlen. Mit der Zeit würde ich mir wünschen, dass sie hierher kommt. Ich übe die Sprache über Whatsapp mit ihr, sie lernt auch aber sie hat kaum Zeit. Insbesondere jetzt mit dem Erdbeben. Die Lage ist inzwischen in Syrien schlimmer als als ich noch dort lebte, obwohl dort schon Krieg war.

Nach meiner Meinung haben sich 90% der jungen Syrer, die hierhergekommen sind, gut integriert, haben die Sprache gelernt. Ich kann sogar sagen, dass 100 % meiner Kollegen sich hier gut integriert haben. Manche sprechen vielleicht nicht perfekt Deutsch, aber sie arbeiten, sie können sich verständigen, sie sind motiviert. Wir brauchen Arbeitgeber, die diese Menschen am Anfang aufnehmen und auch unterstützen. Bei mir war das die Schule, die Mitschüler, in der Arbeitswelt sind das die Arbeitgeber, die Arbeitskollegen. Es kostet nicht viel: ein Lächeln, ein Wort korrigieren …
Ich jobbe auch. Ich habe in der Corona-Zeit als Corona-Helfer geholfen. Zum Glück ist das mehr oder weniger vorbei und die Corona-Stationen sind abgebaut. Jetzt arbeite ich u.a. als Eventsmanager. Es ist ein Minijob. Ich mache auch im Rahmen meines Studiums eine Zusatzqualifikation als Compliance-Officer. Als Compliance Officer bist Du in einem Unternehmen für die Einhaltung der festgelegten legalen Richtlinien verantwortlich. Du kümmerst Dich darum, dass sämtliche innerbetrieblichen Abläufe und Prozesse gemäß den gültigen Vorschriften und Gesetzen erfolgen. Du kontrollierst auch, dass keine Geldwäsche, Korruption betrieben wird, dass europäische Richtlinien eingehalten werden, Gleichberechtigung beachtet wird usw…
Ich würde gern noch meinen Master machen und eventuell in die Forschung gehen, weil ich aufgrund meiner eigenen Erfahrung weiß, was man braucht, was einem fehlt, wenn man hier ankommt, um sich zu integrieren. Ich möchte im Bereich Flucht, Migration, Integration in den Arbeitsmarkt gehen und das mit meinem Studium rechtlich vertiefen und gucken, was der Staat noch anbieten sollte, um diese Menschen richtig zu unterstützen.
Das wäre mein Ziel, mein Traum: Deutschland zurückgeben, was ich bekommen habe und andere Menschen unterstützen, damit sie hier leben und arbeiten können. Das liegt mir am Herzen.

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Danke, Mohamad, für diese tolle Lebensgeschichte!
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Re: Mein Name ist Mohamad

Beitrag von Mechtenbergkraxler »

Menschen wie Mohamad, mit ihrem langen und steinigen Weg in ein neues Zuhause, gibt es nicht wenige in der Welt, in Deutschland und auch in Gelsenkirchen, nur selten aber erfährt man ihre Lebensgeschichte so detailliert und persönlich wie in diesem Beitrag. Danke dafür. An mancher Leute Lebensgeschichte wäre man schon interessiert, nur man fragt nicht, aus Angst, dass dies zu übergriffig wirken könnte. Das mit der „Übergriffigkeit“ wird von einigen Übereifrigen leider sogar so ausgelegt, dass man mit nicht-Biodeutschen auf gar keinen Fall über etwas anderes als über das Wetter und den Klimawandel reden darf. Schade, denn wer so denkt, der wird Lebensgeschichten, wie die von Mohamad nie erfahren.

Eine kleine Geschichte dazu: Am Mittwoch musste mein Wagen mal wieder in die Werkstatt. Das Autohaus liegt ziemlich außerhalb, und die Firma spendiert für die Heimfahrt einen Taxischein, der recht gut bis vor die Haustür reicht. Ich habe in zig Jahren so gut wie nie einen biodeutschen Fahrer erlebt, dafür aber Leute aus aller Herren (w,m,d) Länder. Am Mittwoch war es ein Afghane. Natürlich frage ich nicht doof: „Sie sprechen aber gut Deutsch. Wo kommen Sie eigentlich her?“ Dann würde ich mich auch vera.rscht fühlen, wenn ich schon in 2. Generation in Deutschland lebe, hier geboren bin und perfekt Deutsch spreche. Was aber immer akzeptiert wird, ist die Frage, wo die Familie herkommt. Das Gros der Kohlenpottler, ich inklusive, kann dann selbstbewusst ergänzen: „Ein Teil meiner Vorfahren stammt aus … (Ostpreußen, Schlesien, Posen, Polen usw.) und ist vor über 100 Jahren auf der Suche nach gut bezahlter Arbeit als Arbeitsmigranten ins Ruhrgebiet gekommen.“ Ich habe es noch nie erlebt, dass diese Frage übelgenommen wurde, ganz im Gegenteil, unsere non-biodeutschen Mitbürger freuen sich, ihre Lebensgeschichte erzählen zu können. Mit Ali dem Taxifahrer habe ich dann über das Zusammenleben der Religionen in Afghanistan vor den unsäglichen Bürgerkriegen gesprochen, den bald endenden Ramadan und - das war schon spannend - wie die Familien eigentlich mit dieser seltsamen Art zu fasten klarkommen. Über mein Schokoladen- und Bierfasten in der Fastenzeit hat er sich schräg gelacht.

Wenn ich Zeit hatte und der / die andere auch, habe ich immer solche Gespräche geführt, mit Handwerkern, Möbelpackern, Paketboten, Leuten an der Kasse (wenn kein Betrieb war) u.v.m., und alle diese Gespräche waren bereichernd. Die Leute waren auch interessiert, wie sich polnischsprachige Migranten um die Jahrhundertwende 19./20. Jhdt. hier sprachlich durchgeschlagen haben, und sie waren erstaunt, dass es – so weiß ich es jedenfalls – Regel war, dass zu Hause so rasch wie möglich nicht mehr polnisch gesprochen wurde, sondern ausschließlich Deutsch, was nun mal Grundlage für Integration und Heimatgefühl war. Und auch eine gute Idee für unsere aktuellen Arbeitsmigranten wäre, was Ali auch so sah.

Fazit: Traut Euch einfach, mit Leuten wie Mohamad ins Gespräch zu kommen. Aber natürlich auch mit Enno und Dietje, wenn die beim Montieren der Wärmepumpe :muede: ostfriesisch schnacken. Die freuen sich, wenn man fragt.

MK
"Der Optimist hat nicht weniger oft unrecht als der Pessimist, aber er lebt froher." (Charlie Rivel, Clown)

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Re: Mein Name ist Mohamad

Beitrag von zuzu »

Heute bekamen wir diese Nachricht:
Hallo zuzu,
hallo Mohamad Akkour,
vielen Dank für den ausführlichen Bericht. Er gibt einen sehr guten
Einblick in die Flucht- und Ankommens- / Integrationsgeschichte. Die
Notwendigkeit der ganz unterschiedlichen Untertützung und deren positiven
Folgen werden klar benannt, ebenso wie der feste Wille zur eigenen Leistung
und Integration.
Solcher Texte und deren breite Publikation bedarf es viel mehr.

Liebe Grüße Ihnen beiden und weiterhin viel Erfolg für Herrn Akkour
A.F.
Zuzu

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