Wie pflegte doch mein alter Vater zu sagen, wenn er sich mal wieder über eine Predigt, den Papst oder die Nonnen im Marienhospital aufgeregt hatte: „Herr, lass mich nicht irre werden an Dir!“ Dann kam meist noch der Spruch, dass der HERR nun mal nichts für sein Bodenpersonal könne. An diese Sprüche musste ich denken, als ich von der soeben erschienenen Studie über sexuelle Gewalt im Bistum Essen gelesen habe. Wer katholisch sozialisiert wurde, wie ich, kann sich eigentlich über nichts mehr wundern. Und trotzdem wird in der Studie ein Aspekt offenbar mal etwas gründlicher beleuchtet, der in den anderen Studien kaum eine Rolle gespielt hat: Es geht dort u.a. auch um die unselige Rolle der Gemeindemitglieder selbst im Umfeld der Tat und des Täters. Wenn angesehene, beliebte, von manchen Leuten auch geradezu angehimmelte Priester solche Taten begingen, dann konnte der/die Betroffene in der Regel keine Unterstützung erwarten. Das Gegenteil war der Fall: Solche Vorwürfe störten die Gemeindeidylle, nicht der Betroffene, sondern der Täter musste geschützt werden. Die Tat konnte ja nur erlogen sein. Die Folge waren üble Anfeindungen, die man heute wohl als Mobbing bezeichnen würde, und die zu Rückzug und manchmal auch zu Fortzug führten.
Was bin ich froh, dass Pfarrer (gilt auch für die evangelischen Kollegen) heute fernab von diesem glorifizierenden Nimbus ihren Job machen, und ihn auch in aller Regel gut und korrekt machen im Sinne einer positiven Seelsorge. Abhängigkeiten, Guru-ähnliches Getue und Anhimmeln sind aber nicht aus der Welt und feiern im evangelikalen und Sekten-Umfeld fröhliche Urständ. Ob sie in der katholischen Kirche ganz aus der Welt sind, würde ich allerdings auch bezweifeln. Nebenbei: In der Wirtschaft oder auch in bestimmten Kulturzweigen, wie Sport, Theater, Film u.ä. gab es und gibt es exakt die gleichen Ablaufmuster inklusive institutionellem Vertuschen und Verschweigen.
Die Studie lässt sich hier herunterladen
https://www.bistum-essen.de/hilfe-bei-s ... stum-essen
MK
"Der Optimist hat nicht weniger oft unrecht als der Pessimist, aber er lebt froher." (Charlie Rivel, Clown)