Kinderheime in Gelsenkirchen

Kindheit und Kinder in verschiedenen Epochen

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Gut Ravensberg
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Re: Kinderheime in Gelsenkirchen

Beitrag von Gut Ravensberg »

Und leider hat der LWL gegen das Urteil Einspruch eingelegt und alles findet wieder von vorne an. Das kann Jahre dauern und dieses Vorgehen finde ich wirklich widerlich. Es ist lt. Urteil absolut unbestritten, was in diesen Jahren vorgefallen ist. Warum dann noch weitere Qualen? Noch mehr Kampf? Kann man dem Opfer nicht die zugesprochene Entschädigung gönnen? Das kann das Leid nicht zurücknehmen oder lindern.
Oder hat man Angst vor der Menge der zukünftigen Klagen?
Das Leben wird immer vorwärts gelebt und rückwärts verstanden. (Selma Lagerlöf)

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heen
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Re: Kinderheime in Gelsenkirchen

Beitrag von heen »

Die Berufung des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe wurde vom Landessozialgericht zurückgewiesen.
Es besteht aber noch die Möglichkeit einer Berufung vor dem Bundessozialgericht.
https://www.waz.de/staedte/gelsenkirche ... 27195.html

kg01 oder so
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Re: geh mich wech mit Sauerkraut

Beitrag von kg01 oder so »

kleinegemeine01 hat geschrieben:
15.01.2009, 17:47
Eine kleine Geschichte über Angst
oder wie Bine lernte, sich unsichtbar zu machen.

Auf einmal war ich mit meiner Mama dort.
Ich war 5 Jahre alt. Ein riesiges, altes, dunkles, drohendes Gebäude. Das Erler Kinderheim.
Eine Nonne öffnete uns die Tür. Ich hatte unwillkürlich Angst vor dieser Frau und dann ich sah sogar noch mehrere von diesen schwarz gekleideten Frauen. Ich wollte dort weg.
Ich weiß nicht mehr, ob meine Mutter mich vorab aufgeklärt hatte, was mir bevorsteht. Ich denke mal nicht. Sie war in dieser Beziehung immer sehr zurückhaltend und freiwillig schob sie mich eher nicht dorthin ab, wenn ich auch davon überzeugt bin, dass sie eine Wahl gehabt hätte. Aber sie war zu schwach.
Jedenfalls ließ sie mich nach einem kurzen Gespräch mit dieser fürchterlichen Person (sorry, aber so habe ich diese Nonnen nun mal empfunden) dort zurück. Ich weinte vor Angst. Versuchte noch, mich an meine Mutter festzuklammern.
Danach weiß ich erst einmal nichts mehr. Die Erinnerung begraben unter kindlichen Schutzmechanismen. Weiß nicht mehr, wie lange ich geweint hatte, weiß nicht mehr, wie lange die Angst anhielt.
Ich wollte nicht angestarrt werden und versuchte mich so unauffällig wie möglich zu verhalten. Anfangs gab es massive Hänseleien, das weiß ich noch.
Ich war allein. Alles vertraute war weg. Ich war 5. Verdammt, ich muss mich beschissen gefühlt haben, aber ich weiß es zum Glück nicht mehr.

Wie fing die Geschichte an? Warum musste ich dort landen? Welche Gründe sind wichtiger als das Wohlergehen des eigenen Kindes?

Ich bin unehelich geboren und meine Eltern lebten im Jahre 1965 wohl noch recht chaotisch. Mein Vater war verheiratet und irgendwo in meiner Erinnerung taucht ein Satz auf, dass meine Mutter mit in der Wohnung seiner Ehefrau gelebt hatte. Meine Mutter wurde mit mir schwanger und als ich zur Welt kam, soll es mir nicht gut gegangen sein. Wie auch immer. Meine Tante väterlicherseits nahm mich zu sich und zog mich die ersten Jahre auf und ich verbrachte das eine oder andere Wochenende bei meinen Eltern.
Bei meiner Tante hatte ich dann so was wie eine Familie, mit einem 7 Jahre älteren Cousin und eine 10 Jahre ältere Cousine, aber wir waren wie Geschwister.
Dann begann meine Tante eine Fortbildung und sie hätte keine Zeit mehr gehabt, sich um mich zu kümmern und daher kam ich für die Dauer ihrer Fortbildung ins Heim.

An den Wochenenden war ich aber immer bei meinen Eltern. Der Weg, mich dort abzuholen war kurz. Einfach über die Cranger Straße gehen und schon waren sie da.
Ich erlebte meine Einschulung noch im Heim und wechselte irgendwann die Grundschule, als meine Tante mich wieder versorgen konnte.

Meine Erinnerung insgesamt ist aber nicht negativ belastet. Ich kann mich nach der schrecklichen Eingewöhnungsphase nicht an schlimme Dinge erinnern. Außer vielleicht an die Sauerkraut/Kasseler/Tütenpürree Tage. Ich sehe mich spielen, abends im Zimmer mit den anderen Mädchen flüstern, kichern.
Von meinem Bett aus konnte ich den Himmel sehen und nachts den Mond und die Sterne. Schon damals hatte ich den Orion zu meinem Lieblingssternbild gemacht. Ich schaute immerzu zu den drei Gürtelsternen und wartete darauf, dass sie zusammenstoßen. Ham se bis heute nicht gemacht…
Aus der Ferne konnte man nachts das Sirren der Autoreifen der nahen A2 hören.
Ich erlebte den schweren Herbststurm von 1972, wo ein dicker Baum auf das Haus krachte.
Es gab sogar ein kleines Schwimmbecken, welches wir im Sommer nutzten. Wir hatten ein Fernsehzimmer, wo wir abends häufig saßen. Ich lernte Rollschuhlaufen und Radfahren, Schwimmen und die besten Sandburgen bauen.
Ich habe bis heute nie mit meinem Schicksal gehadert. Es war mein Leben und ich nahm es, wie es kam. Ich kannte es ja nicht anders. So mache ich es auch heute noch.

Nur mein Vertrauen blieb auf der Strecke. Und vllt. die Fähigkeit…hmmm…Liebe, lieben, Liebe erwidern.
Ich bin eine Einzelgängerin geworden. Zwar habe ich immer mit anderen Menschen die Zeit verbracht, aber tiefe Freundschaften haben sich nicht entwickelt. Ich fühlte mich nie lange wohl in der Gesellschaft von immer den gleichen Menschen. Immer auf der Suche… nur wonach?
Heute habe ich ein paar Freunde, bin aber nach wie vor immer auf dem Sprung. Zuviel Nähe vertrage ich nicht.
Glücklicherweise habe ich mit meiner Tochter dann doch einen Menschen in mir aufgenommen. Meine Tochter liebe ich, auf meine besondere Art, weit entfernt aber von Beschreibungen über Liebe aus Erzählungen und Büchern.

Ich möchte keine Dinge wie: oh, kg01, das muss hart gewesen sein oder ähnliches hier lesen. Kein Psychokram, bitte.
Mir geht es gut, ich bin zufrieden und selbstbewußt wie nie zuvor. Manchmal bin ich traurig, genieße dieses Gefühl aber auch irgendwie. Es läßt mich spüren, daß ich lebe.

So, ich bin fertig. :wink:
Ich vergesse imnmer mehr von damals, sah aber kürzlich einen Bericht im TV und je mehr ich sah umso mehr wurde mir bewusst, was ich komplett verdrängt und im besten Fall vergessen habe.
Nun wo ich anfange etwas schreiben zu wollen gerät alles in vergessenheit - muss mich ablenken und die gedanken wiederfinden - gerade war alles so nah
es ist die Geschichte von mir die ich durch diese TV Sendung erfuhr, auch wenn es von einer anderen Person handelt die da von sich erzählte
schon cool - einiges ist nur erklärbar für mich

Fortsetzung folgt

romeospider
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Re: Kinderheime in Gelsenkirchen

Beitrag von romeospider »

Einen solchen Text lesen zu dürfen,
macht die Gelsenkirchener Geschichten schon wertvoll,
ja geradezu notwendig.
Wer lobt ist mächtig. Wer gelobt wird ist schwach. Wer gelobt werden möchte ist ein Sklave.

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