Kindheit in Gelsenkirchen

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Lorbass43
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Beitrag von Lorbass43 »

Musse ma kucken @Pedda Gogik nicht nur der einzige Beitrag zum Thema Schießdraht

Fred : Wir aus Scholven Titel: Zusammenhalten Verfasst am: 12.07.2010, 16:52 von Gutenberg meinem verstorbenen Jugendfreund Friedhelm Möllmann
Gestein links und rechts von der Kohle jeweils einen weiteren Gang bohren. Der Kumpel nennt das „Strecke“. Zwischen den beiden Strecken lässt du jetzt den Hobel laufen oder die Schrämmaschine. Die brechen die Kohlebrocken los und befördern sie auf die Strecke. Von da geht’s zum Schacht und dann nach Übertage. Ganz, ganz einfach erklärt. Um aber die Strecken voranzutreiben, wird untertage gesprengt. Die Kumpel bohren tiefe Löcher in den Stein und die werden mit Sprengstoff gefüllt. Den Rest kannst du dir denken.“ Bergleute gehen nicht, sie fahren. Bergleute sprengen nicht, sie schießen. Auf dem Pütt gab es nur Schieß- aber keine Sprengmeister. Das waren wahre ZaZusammenhalten ist immer gut. Wenn ein ganzer Vorort zusammenhält, um so besser. Was aber bewirkt den Zusammenhalt? Eine Siedlung besteht aus Häusern, diese aus Zimmern und in diesen sind Sachen, die kaputt gehen. Die Häuser auch, aber seltener. Die Antwort auf diese Frage ist so erstaunlich wie simpel: Es war zu Kohlezeiten der Schießdraht. Wie? Was?, fragt der interessierte Laie. Da zitiere ich meinen Onkel Günter, den aus Scholven. Der hat mir mit unendlicher Geduld den Bergbau näher gebracht.Also: „Bergbau ist im Prinzip einfach. Nachdem die Markscheider, so eine Art Geologen, festgestellt haben, dass in deinem Areal Kohle liegt, machst Du zwei richtige Löcher in den Boden, und zwar so tief, bis beide Löcher auf Kohle stoßen. Ganz simpel gesagt. Danach bohrst du einen Gang zwischen den beiden Löchern uns setzt oben je einen Förderturm drauf. Jetzt hast du Schacht 1 und 2. Zwischen den beiden zirkuliert nun die Luft. Dann musst du in das taube uberkünstler. Sie konnten nur einmal im Arbeitsleben einen Fehler machen und der hatte viele tote Bergleute und einen ungeheuren materiellen Schaden zur Folge. Sie schossen unter Tage, mussten also genau wissen, was sie taten. Und um den Zündstrom zum aktiven Teil zu befördern, bedienten sie sich des Schießdrahtes. Ein gelb isolierter Kupferdraht von vielleicht 0,7-0,8 mm. Man konnte alles damit reparieren. Es gab zwischen Hamm und Duisburg wohl kein Fahrrad, dessen Lichtanlage nicht mit Schießdraht arbeitete. Alle Arten von Schlauchverbindungen ließen sich per Schießdraht und Kombizange, des Drahtes Partner, herstellen. Opa hatte das Mundstück seiner Krüllpfeife (Türkenkost hieß der Knaster) mit Schießdraht geflickt. Ein Kaninchenstall ohne Schießdraht-Flickage war undenkbar. Weihnachtskugeln hingen per Schießdraht am Baum. Rollschuhe ließen sich mit dem Wundermittel an den Bundschuhen (lilafarben mit seitlicher Schnürung) befestigen. Maschendrahtzäune riefen förmlich nach Schießdraht. Der Kupferdraht diente als Antennenverlängerung bei schlechtem UKW-Empfang im Radio.
Es gab auch später eine Version mit Eisendraht und roter Isolierung, aber der taugte nicht, weil er zu schnell brach. Er war wohl billiger, konnte aber die Kohle nicht mehr retten. Hier bei mir in der Nähe wohnt ein pensionierter Ingenieur des TÜV Gladbeck. Er erinnerte sich noch, als ich ihn darauf ansprach, dass ihn beim Öffnen der Motorhaube das schiere Schießdraht-Inferno anguckte. „Es tat mit immer Leid, das beanstanden zu müssen, denn es war haltbarer und zuverlässiger als es aussah. Wenn die DDR Schießdraht gehabt hätte, gäbe es sie heute noch...“
Und 1964 verschwanden Kohleabbau und Schießdraht aus Scholven. Ohne große Reden und ohne etwas Trost zu hinterlassen.
Ich hole mir als schlechten Ersatz stärkeren, grün oder braun gefärbten Blumendraht. Nebenan in Holland. Aber nicht grinsen, die sind jetzt sehr sensibel, was grinsende Deutsche angeht.

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