Briefe 1945 aus Feldmark

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Schwidi
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Briefe 1945 aus Feldmark

Beitrag von Schwidi »

Hallo,
habe hier diese beiden briefe in meiner Sammlung wie ich finde mit spannendem Inhalt.

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Abs. Pohl, Gelsenkirchen
Schwindstr. 38

30. 1. 45

Ihr Lieben! Rasch einige Zeilen! Unsere Hiobsbotschaft habt Ihr wohl inzwischen erhalten. Nun haben wir kein "zu Hause" mehr. Wie uns zu Mute ist, könnt Ihr Euch nicht vorstellen. Unser schönes Häuschen! Es hatte ja schon am 6. Nov. schwer gelitten, aber trotzdem konnten wir noch darin sein. Jetzt sind wir auf die Gnade u. das Mitleid anderer Menschen angewiesen. Wir beide sind ganz daneben, vor allem August leidet sehr darunter, sodaß ich oft ganz mutlos bin. Am liebsten bliebe er den ganzen Tag in den Trümmern. Wir haben kaum etwas gerettet an Möbeln. Von unseren Sachen überhaupt nichts, von Mutter das alte Sofa u. 2 grüne Plüschsessel, mit denen wir uns jetzt wieder ein armseliges Heim einrichten. Jedenfalls sind diese alten Sachen nun ein Stückchen Heimat für uns. Wir haben 2 Zimmer Schwindstr. 38. Der 22. 1. war ein furchtbarer Tag. Mittags dauerte es mehrere Stunden u. abends mußten wir daran glauben. Als wir aus dem Keller kamen, brannte unser Haus bereits lichterloh bis zur 1. Etage, vor allem das Treppenhaus, sodaß wir nicht mehr herauf konnten. Wir dachten wenigstens unser Keller hätte erhalten bleiben können, aber nun stürzte der Giebel ein, riß die untere Betondecke mit herunter, sodaß der Vorratskeller auch völlig ausbrannte. Das ist für mich das Schrecklichste mit, daß all mein Eingemachtes fort ist, unsere Kartoffel sind verschmort. Das wird ein harter Winter für uns werden. Dazu kommt, daß August sehr schlecht zurecht ist. Was mag nur noch werden. Ich schlafe keine Nacht vor Angst u. Sorgen. Unsere arme Mutter tut mir so unendlich leid. Wie gerne wollte sie wieder nach Hause u. nun ist auch das vorbei. Euch Beiden herzl. Grüße
August u. Lenchen



19. 2. 45

Ihr Lieben!

Auch diesen Angriff heute mittag haben wir - Gott sei Dank - gut überstanden. Es war grauenhaft. Vor allem die Feldmark (???) hat es wieder schwer betroffen u. es sieht hier wüst aus. Ich war in einem kl. Splittergraben an der Holbeinstr. u. habe dort furchtbare Minuten verlebt. Mehrere Stollen sind getroffen. Bei Köllmann der kl. ???- Stollen. Die ganze Fam. Köllmann soll tot sein. Ich bin noch total erledigt. Heute abd sind wir zur Hütte gegangen um den Alarm im Werksbunker zu verleben, ich fühle mich nirgends mehr sicher. Wenn man nur erst alles überstanden hätte!

Euch Beiden herzl Grüße Eure Pohls.
Schreibt bald.




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Glück Auf

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heen
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Re: Briefe 1945 aus Feldmark

Beitrag von heen »

In der ersten Postkarte wird der Bombenangriff vom 22.1., 22:14 Uhr bis 22:52 Uhr beschrieben. Es war der vierte Alarm an diesem Tag.
In der Feldmark wurden 19 Sprengbomben (drei Blindgänger), 1000 Brandbomben und 400 Phosphorbrandbomben abgeworfen. Personen kamen nicht zu Schaden, jedoch wurden 385 Bewohner obdachlos.
siehe: Stadtchronik 1945 Seite 9 ff.

Die zweite Postkarte beschreibt den Angriff vom 19.2., 14:12 Uhr bis 14:17 Uhr. Es war ein Angriff auf Gelsenkirchen Nord und Süd. Im Süden lag der Schwerpunkt in der Feldmark. 214 Bomben wurden abgeworfen und es gab 96 Tote. 51 von ihnen hatten in Erdbunkern Schutz gesucht.
Von der Familie Köllmann starben Landwirt Ernst und Frau Elisabeth, sowie, wohl die Kinder, Maria und Elisabeth.
siehe: Stadtchronik 1945 Seite 27 ff.

Stadtchronik 1945 PDF, 74 MB

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Lo
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Re: Briefe 1945 aus Feldmark

Beitrag von Lo »

Diese Briefe zeigen eine Not auf, von der wir uns, die wir nach dem Krieg geboren sind,
nicht einmal ansatzweise eine Vorstellung machen können: sein Hab und Gut - und auch Menschen zu verlieren.
Unserer Generation ist all das hierzlande erspart geblieben.
Das ist nicht selbstverständlich.
Komm´doch mal gucken: https://www.kohlenspott.de/

Bernhard Roth
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Re: Briefe 1945 aus Feldmark

Beitrag von Bernhard Roth »

Beim aktuellen Stand der Technik wären die Folgen eines solchen, nicht auszuschließenden Wahnsinnskriegs noch viel verheerender. Ich habe nicht vergessen, wie das, was mal meine Heimat war, aussah, als ich mit meiner Familie nach Kriegsende aus der Evakuierung zurück nach Gelsenkirchen kam.

Miq
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Re: Briefe 1945 aus Feldmark

Beitrag von Miq »

Was ein Zusammentreffen! Ich kannte die beiden Pohls als Kind - ganz liebe Leute übrigens. August muss irgendwann Ende der Sechziger verstorben sein, aber Helene lebte noch mindestens bis 1978.

Schwidi
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Re: Briefe 1945 aus Feldmark

Beitrag von Schwidi »

Miq hat geschrieben:
17.01.2021, 16:07
Was ein Zusammentreffen! Ich kannte die beiden Pohls als Kind - ganz liebe Leute übrigens. August muss irgendwann Ende der Sechziger verstorben sein, aber Helene lebte noch mindestens bis 1978.
das ist ja interessant und wirklich ein toller zufall
Glück Auf

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