Dr. Lutz Heidemann: Das Kaufhaus Sinn (Arbeitsversion)

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Dr. Lutz Heidemann: Das Kaufhaus Sinn (Arbeitsversion)

Beitrag von Verwaltung »

Zum Thema siehe auch: http://www.gelsenkirchener-geschichten. ... .php?t=712
  • Vorbemerkung:

    Fotos vom ursprünglichen Zustand des Kaufhauses Sinn kannte ich schon seit langem. Ich hatte Fotos vom Lichthof auch dem Geschäftsführer der Gelsenkirchener Filiale gezeigt. Als es 2006 zu Überlegungen seitens des neuen Eigentümers kam, die Fassaden zu verändern, wurde ich von dem städtischen „Büro für Stadtumbau“ zu den Beratungen hinzugezogen. Ich konnte auch in die Bauakte einsehen und die Vorgängerbebauungen studieren. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse dokumentierte ich für mich in einer Form, die schon als Vorbereitung für eine Veröffentlichung gedacht war. Aber es gab andere bau- und stadtgeschichtliche Projekte, die „Vorfahrt“ hatten. So sind ganze Textabschnitte bisher nur als Stichwort-Gedanken vorformuliert worden. Andererseits hatte ich von meiner Beschäftigung mit der Geschichte des Kaufhauses Sinn öffentlich berichtet und war auch auf große Hilfsbereitschaft bei meinen Recherchen gestoßen. Zum Beispiel auch von den Machern der „Gelsenkirchener Geschichten“ habe ich durch Ansichtskarten der Bahnhofstraße interessante Informationen erhalten. Ich bin deshalb gerne bereit, hier schon jetzt das unfertige Manuskript ins Netz zu stellen, u.a. auch, um ggf. noch weitere Anregungen zu erhalten oder auf Fehler aufmerksam gemacht zu werden. Der direkte Kontakt könnte dabei über heidemann.lutz ätt online.de erfolgen.


    Dr. Lutz Heidemann, Gelsenkirchen

    Die bau- und stadtgeschichtliche Bedeutung
    des Kaufhauses Sinn-Leffers an der Bahnhofstraße in Gelsenkirchen


    (Überschrifts-Variante: Ein beispielhaftes (Gelsenkirchener) Kaufhaus / Geschäft: Sinn-Leffers an der Bahnhofstraße)
    Bild1.: Foto von 1928: Fassade Beskenstraße mit einmontierter Ansicht des Treppenhausturmes an der Bahnhofstraße (1)

    Als es 2006 (?) zu einem Eigentumswechsel an dem Gebäude Bahnhofstraße 39/47 kam, in dem seit über hundert Jahren das Textilkaufhaus Sinn-Leffers betrieben wird, und nachfolgend zur Beseitigung einer unschönen Blechverkleidung des Äußeren, wurde ein Stück vergessener Architektur-Avantgarde in Gelsenkirchen sichtbar, das zeitgleich mit dem abbruchgefährdeten Hans-Sachs-Haus errichtet worden war. Die Wiedergewinnung des immer noch überraschend modern wirkenden Erscheinungsbildes des Kaufhauses ist ein Erfolg der City-Aufwertung im Rahmen des Förderprogramms „Stadtumbau West“. (2)
    Bild2. Dieses suggestive Bild sollte wiedergewonnen werden. Zustand 1928, Fassadenausschnitt, aufgenommen von einem Standort auf der Höhe der Brüstung des 2. OG (3)

    (1): Foto aus: Bauschau 3/1928 S. 12, Fotograf vermutlich Mantz (Sinn-M. 5)
    (2): Des ist ein seit dem 2xxx laufendes Städtebau-Förderprogramm des Bundes für wenige Gemeinden im Westteil der Bundesrepublik, die mit ähnlichen Strukturdefiziten wie der Großteil der ostdeutschen Städte zu kämpfen hat. Die City von Gelsenkirchen wird seit xxx gefördert.
    (3): Bildvorlage Repro aus Archiv Sinn-Leffers; Fotograf vermutlich Mantz.
    König: „Alltagsdinge. Erkundungen der materiellen Kultur“ Tübingen 2005

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Beitrag von Verwaltung »

  • Kaufhausgeschichten - Themen für eine Stadtgeschichte?

    Besteht am Erhalt großer Kaufhäuser, man hat sie „Kommerztempel“ genannt, ein öffentliches Interesse? Doch, aber eher indirekt, denn die Orte, wo sich Menschen (über viele Jahre) die „äußere Haut“ - ihre Kleidung – beschaffen, haben schon dadurch Erinnerungswert/ einen emotionalen Wert, weil es beim Kauf von Kleidung nicht allein um Schutz vor Witterung geht, sondern um Selbstinszenierung und Teilhabe am Wandel der Mode. Und die Räume, wo das geschieht, wollen nicht allein zweckmäßig sein, sondern mit den Waren auch ein Stück Lebensgefühl vermitteln. Das kann hier nur skizzenhaft angerissen werden und ist eine vielfältige Verknüpfung von Wirtschaftsgeschichte mit Bau- und Stadtgeschichte. Doch in dem Sinn ist das 1927/28 an der Bahnhofstraße nach Plänen von Bruno Paul erbaute Kaufhaus Sinn ist ein wichtiges materielles Dokument der Bau- und Wirtschaftsgeschichte von Gelsenkirchen.

    Die Bahnhofstraße ist bis heute die umsatzstärkste Geschäftsstraße. Durch die Kohleerschließung kam es in dem vormaligen Kirchdorf zu einem explosionsartigen Bevölkerungszuwachs. Am 1.12.1885 lebten in dem Gebiet der späteren Großstadt (Alt-) Gelsenkirchen 20.289 Menschen, am 1.12.1905 waren es 147.005. Eine Folge war die Ansiedlung vielfältiger Handelseinrichtungen an der Verbindungsstraße zwischen Ortskern und Bahnhof, denn die Menschen wollten ihr schwerverdientes Geld gern in Waren umwandeln.

    Der Prozeß der „Industrialisierung“, der das Ruhrgebiet total veränderte, wird oft allein auf die Veränderungen der Rohstoffgewinnung verkürzt. Im Blickfeld sind Firmengründer wie Mulvany, Grillo oder Krupp und auf der anderen Seite die zugezogenen Arbeiter in denen für sie angelegten „Kolonien“. Industrialisierung bedeutet aber auch, daß sich handwerkliche Produktionsweisen für die Erzeugung und Verteilung von Nahrungsmitteln und Kleidung und viele anderen Lebensnotwendigkeiten grundlegend veränderten. Die Urbanisierung des Ruhrgebietes geschah durch einen sehr aktiven Mittelstand. Er betrieb z. B. Lebensmittelgeschäfte wie Fleischereien und Bäckereien, bei denen Produktion und Verkauf noch eng verknüpft waren. Im Verlauf einer sehr schnellen Entwicklung wurde dieser zu Wohlstand und Ansehen gekommene Mittelstand, deren Wohn- und Geschäftshäuser bis heute für das Stadtbild sehr wichtig ist, dann selbst verdrängt. Die „Industrialisierung“ der Konsumgüterproduktion und des Handels hatte dabei großen Anteil.

    In diese Jahrzehnte fällt auch die Ausbreitung des Kaufhauses als charakteristische neue Warenangebotsform. In mehrgeschossigen Gebäuden wurde ein weitgefächertes Sortiment präsentiert. (4) Es konnte sich auf ein Warensegment beschränken, z. B. Textilien, Geschäfte konnten aber dadurch eine spezifische Qualität erreichen, daß sie neuartig ein alle Lebensbereiche umfassendes Angebot bereithielten. Die Anziehungskraft und Faszination derartiger Warenhäusern hat sich bis heute gehalten, selbst wenn der Hauptteil der täglichen Einkäufe sich immer stärker auf andere Handelsformen wie Shopping-Center, Fachmärkte, Discounter oder Versandhandel verlagert. Was nachfolgend an Fakten ausgebreitet wird, kann nur die baulichen Veränderungen nachzeichnen. Das „Eigentliche“ eines Textilkaufhauses wären die Geschichten über die Waren und Gefühle, die mit ihnen verkauft wurden.

    Die Prototypen des neuartigen Warenhauses entstanden in Paris mit den Kaufhäusern „Bon Marchė“ (1852), „Louvre“ (18xx) und Printemps.

    In Deutschland gehörte Leonhard Tietz mit einem 1879 in Stralsund eröffneten Festpreis-Geschäft zu den Pionieren der neuen Verkaufsform. Er begann die Erfahrungen von dem ersten Laden schnell auf Filialen in anderen Städten zu übertragen. Für die schnell wachsende Gesellschaft wurde daraus der Name Hertie gemacht. Verkaufsstätten der Warenhauskette H. und C. Tietz

    Wer sich neu etablieren wollte, mußte auffallen. Ein Weg war Opulenz. So entstand außerhalb des Berliner Zentrums 1906/07 durch Initiative von Kommerzienrat Adolf Jandorf am Wittenbergplatz im Berliner Westen nach Plänen des Stuttgarter Architekten Johann Emil Schaudt das KaDeWe, das „Kaufhaus des Westens“, mit 24.000 qm Verkaufsfläche. Ähnlich war es mit dem „Alsterhaus“ in Hamburg. Beide Gebäude erwarb später Hermann Tietz, sie wurden „arisiert“ und sind seit Jahrzehnten die „Flagschiffe“ von Karstadt-Quelle.

    Andere folgten dem Beispiel von Tietz. Der Kaufmann Rudolf Karstadt eröffnete 1881 seinen ersten Tuchladen in Wismar und praktizierte von Anfang an die neuartige und charakteristische Geschäftsidee, feste Preise, die sofort zu zahlen waren und deshalb niedriger als bei der Konkurrenz sein konnten, weil der den Kunden durch „Anschreiben“ gewährte Kredit wegfiel und so das einzusetzende Geschäftskapital ebenfalls niedriger gehalten werden konnte.

    Die Kaufhäuser wurden in ihrer Konzeption und ihrem Erscheinungsbild laufend verändert. Dadurch daß sie zu Kapitalgesellschaft wurden, kam es auch leichter zu Eigentumswechseln der verschiedensten Art. Der spektakuläre Neubau des Kaufhaus Sinn ist ein auffälliges Beispiel/ Dokument der Veränderungen der 1920er Jahre.

    Unter den Geschäftsleuten waren sehr viele jüdischer Herkunft, einige Namen als Beispiele: Alsberg , Jandorf, Schocken, Tietz, Wertheim. Beim Nachforschen im lokalen oder regionalen Maßstab kommen schnell weitere hinzu. In der NS-Zeit wurde großer Druck auf die jüdischen Eigentümer ausgeübt. Viele Inhaber verkauften und Firmennamen wurden verändert. Die Familie Tietz z. B. schied gegen eine Abfindung aus. Unter der Führung von Georg Karg expandierte Hertie in der Nachkriegszeit sehr stark, war aber oft nicht wirtschaftlich erfolgreich. Inzwischen in eine Stiftung umgewandelt, versuchte Hertie nach der Wiedervereinigung in Ostdeutschland wieder Terrain zu gewinnen, aber nicht besonders erfolgreich. Hertie wurde 1993 für geschätzte 2 Milliarden DM an Karstadt verkauft. Der Name verschwand fast völlig und wurde erst 2007 wiederbelebt.

    Die Wertheim-Kaufhäuser wurden ebenfalls zwangsweise verkauft und wurden ein Bestandteil der Karstadt-Gruppe. Erst 2007 wurde mit den Nachkommen ein Schlußstrich um Grundstücksrechte, z.B. in Berlin am Potsdamer Platz, geschlossen. Rudolph Karstadt war „deutscher“ Herkunft, deshalb überlebte die Gesellschaft und der Firmenname die NS-Zeit. 1912 hatte Karstadt erstes Großkaufhaus eröffnet. Die Rudolf Karstadt AG schloß sich 1920 mit der aus Dülmen stammenden Kaufmannsfamilie Althoff zusammen. Althoff hatte in Essen 19xx sein erstes größeres Kaufhaus eröffnet und war rasch expandiert. Bei dem Zusammenschluß brachte Althoff 13 Häuser ein; Karstadt hatte zu der Zeit 31 Einrichtungen. Manche Althoff-Gründungen behielten noch lange nach dem Zusammenschluß den eingeführten Namen, so auch in Buer.

    Die Alsberg-Gruppe geht auf die Brüder Siegfried und Alfred Alsberg aus Köln zurück. In den Jahren kurz vor nach dem Ersten Weltkrieg bauen sie Kaufhäuser u. a. in Bochum, Duisburg, Hamm, Kassel, Hildesheim und Neuss. In Gelsenkirchen bauen sie das Spätere WEKA-Kaufhaus an der Bahnhofstraße und das später von Josef Weiser übernommene Kaufhaus an der Hochstraße/ Ecke Horster in Buer. 1921 geschieht die Umwandlung in eine Aktien-Gesellschaft. Es kommt dann die Herausdrängung der Inhaber-Familie. Mehre Alsberg-Häuser übernahm der frühere Angestellte Helmut Horten; daraus entwickelte sich eine größere Nachkriegsgruppe.

    Nach 1945 kommen neue Namen und Vertriebskonzepte und auch gänzlich neue Angebotsbereiche dazu:
    Versandhandel , stark verbunden mit dem Namen Neckermann
    Mengengeschäft
    Verschmelzungen

    Zusammenschluß Neckermann und Quelle. Später Karstadt mit Quelle. Da Größe allein noch keine Qualität ist, werden parallel dazu Teile verselbstständigt oder abgestoßen. Im Jahr 2007 folgte die Hauptversammlung dem Vorschlag des Vorstandsvorsitzenden Thomas Middelhoff, nachdem dieser einen Zusammenschluß von Quelle-Karstadt mit dem Reisekonzern Thomas Cook eingefädelt hatte, dem neuen Gebilde den Kunstnamen Arcandor zu geben. Vor Ort sollen allerdings die eingeführten Namen bleiben.

    Ein weiter Pionier des Versandhandels war die Otto-Gruppe. Diese wiederum haben den Einstieg in das „stationäre Geschäft“ durch ihr Engagement für Shopping-Center erreicht. Über die ECE Projektmanagement GmbH & KG Hamburg sind sie inzwischen der größte Betreiber von Einkaufscentern geworden (74 Anlagen in Deutschland). (5) In Gelsenkirchen haben sie sich im Bahnhofscenter engagiert.

    Umstrukturierungen
    Dabei kam es zu Größenordnungen weit über den Maßstäben der Weimarer Zeit. Der Konzentrations- und Differenzierungsprozeß setzt sich fort.
    Trotzdem bliebt das Bewahren von Namen wichtig.

    Zu dem internationalen Einzelhandelskonzern Metro AG Düsseldorf (Umsatz 2006 ca. 60 Milliarden €, 27 Shopping-Zentren in Deutschland) gehören u.a. die auch in Gelsenkirchen vertretenen Vertriebseinrichtungen Kaufhof, Kaufhof (differenziert: Galeria, sog. „Galeria-Konzept“, Kaufhalle (?),Saturn, real.

    In architektonischer Hinsicht war das Berliner Kaufhaus Wertheim, das ab 1896 nach Entwürfen des Architekten Alfred Messel (1853-1909) am Potsdamer Platz errichtet wurde, stilbildend für das Erscheinungsbild deutscher Großkaufhäuser.
    Zu dem Formenkanon gehörten hochrechteckige Fassaden, innere Freitreppen, Licht durch große Oberlichter.
    Der totale Rückzug nach innen (geschlossene Kiste) war für die Nachkriegs-kaufhäuser die Norm, seit Mitte der 1960er Jahre allgemein, älter Gebäude wurden entsprechend umgebaut.

    Bild3. Gelsenkirchen, Bahnhofstraße, das frühere Kaufhaus Alsberg, jetzt WEKA (6) Die Fassade des ab 1911 von dem Düsseldorfer Architekten Philipp Schaefer gestalteten früheren Warenhauses Alsberg an der Bahnhofstraße in Gelsenkirchen ist charakteristisch für die Wertheim-Nachfolgebauten

    An der Bahnhofstraße in Gelsenkirchen sind bis heute als sog. „Vollsortimenter“ allein Galeria-Kaufhof, jetzt als Karstadt Warenhaus und in reduzierter Form WEKA, das frühere Westfalenkaufhaus und mit Sinn-Leffers und Boeker Textil-kaufhäuser erhalten geblieben.

    Wegen der unmittelbaren Nachbarschaft soll an das gegenüberliegende Eckhaus Bahnhofstraße 49/ Ecke Beskenstraße erinnert werden. Im Kern ist noch viel von der Bausubstanz der ehemaligen Gelsenkirchener Niederlassung der Gebrüder Kaufmann erhalten, einer jüdischen Firma. Ähnlich wie bei Sinn-Leffers wurde hier um 1970 das nicht uninteressante Erscheinungsbild durch eine Fassaden-Verkleidung völlig entstellt.

    Der kurze Rückblick auf die Gelsenkirchener Kaufhausgeschichte wäre unvollständig, wenn nicht wenigstens auch an Overbeck und Weller am oberen Ende der Bahnhofstraße, dort heute das Neumarkthaus Ahstraße 4, erinnert würde, deren schönes Gebäude von 19xx (Architekt: ) leider 19xx der Stadtbahn weichen mußte.

    In Buer, dem zweiten Stadtkern, entstanden im Zuge der „nachgeholten Urbanisierung“ (7) ebenfalls mehrere Warenhäuser. Der Kernbau des (jüdischen ?) Kaufhauses Althoff wurde 1911/12 gebaut, - übrigens auch nach Plänen von Philipp Schaefer - und 1928/29 erweitert. Der Kaufmann Karl Weiser errichtete 1927/28 am Springemarkt einen Neubau (Entwurf Weber und Heide, Buer). Das jüdische Kaufhaus Alsberg Hochstraße 2 und Ecklage zur Horster Straße entstand gleichzeitig 1927/28 (Entwurf Niebel, XX). 1938 kam es zur Zusammenfassung Weiser und Alsberg, 1984 übernahm die Firma Sinn beide Häuser in Buer; 19xx erfolgte die Umfirmierung in Sinn-Leffers.

    Als sich der Essener Konzern Karstadt-Quelle im Jahr 2005 von 74 kleineren und wenig ertragsstarken Häusern trennte und einen großen Teil an britische Investoren veräußerte, (8) suchten die neuen Betreiber nach imagestarken Namen. Das zeigt, es geht nicht nur um die angebotenen Markenartikel, auch die Gebäude sollen Kontinuität und Qualität ausstrahlen. Die meisten verkauften Häuser der mittleren Größe firmierten zunächst als „Karstadt Kompakt“, doch wenig später wurde der Name Hertie reaktiviert und z.B. das Karstadt-Haus in Buer ab März 2007 in „Hertie“ umbenannt.

    (4) Angabe in FAZ vom 28.3. 2007 S.20
    (5) Foto aus: Eberhard Grunsky „Otto Engler – Geschäfts- und Warenhausarchitektur 1904 –11
    (6) Es gibt eine reichhaltige Literatur zur Entwicklung der Warenhäuser und generell zur Waren-, Einkaufs- und Konsumkultur; verwiesen sei als jüngere Veröffentlichung auf Gudrun 914“ Arbeitsheft 28 Landeskonservator Rheinland 1979
    (7) Begriff Goch

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Beitrag von Verwaltung »

  • Fragen an die Geschichte:

    Wie eingangs erwähnt wurde die Renovierung durch einen Eigentumswechsel ausgelöst. Aber die Erwerber wollten den „eingeführte Ort“ für den Erwerb von Textilien einer bestimmten Qualität und das Vertrauen der Kunden in eine „eingeführte Marke“ nicht in Frage stellen. Wie weit reichen solche Bindungen zurück? Ist die Aufspaltung von Verfügungsgewalt über den „Ort“ und die Macht eines Namens ein heutiges Phänomen? In welchem Tempo erfolgten in der Vergangenheit derartige „Häutungen“?

    Das jetzige „Sinn-Leffers AG Modehaus Mitte“ trägt die Postanschrift Bahnhofstraße 39/ 41. Das Betriebsgrundstück umfaßt mehrere alte Baugrundstücke („Parzellen“) mit eigener Entwicklung: Bahnhofstraße 39, 41 und 43 und Beskenstraße 1. Der Ursprung des Textilkaufhauses liegt auf dem Grundstück Bahnhofstraße 41, wo ab 1904 ein Kaufhaus der Firma Sinn und Co. betrieben wurde. Der Erwerb des Grundstückes erfolgte erst etwa zehn Jahre später.

    Das Eckhaus Nr. 43 wurde im Juni 1920 dazuerworben, worauf noch im Detail eingegangen wird. Das so vergrößerte Betriebsgrundstück bot wegen der Ecklage die Möglichkeit für viele große Schaufenster und war die Grundlage für den Neubau von 1927/28.

    Das Grundstück Bahnhofstraße 39 ist erst in der Nachkriegszeit dazugekauft und mit dem Stammhaus Sinn verbunden worden. Der alte fünfachsige, zweieinhalb-geschossige Vorgängerbau ist in seiner gründerzeitlichen Form noch auf einem Foto aus den 1950er Jahren zu erkennen. Somit spiegelt die Kaufhausgeschichte auch ein Stück Straßengeschichte.

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Beitrag von Verwaltung »

  • Vorgängerbauten: An der Bahnhofstraße vom „Industriedorf“ zur Großstadt

    Die Bahnhofstraße wurde bald nach der Fertigstellung der Köln-Mindener- Eisenbahn im Jahr 1847 angelegt. Sie war anfangs ein unbefestigter Weg, aber bald wurden die angrenzenden Grundstücke parzelliert und bebaut.
    Die jüngere Beskenstraße, ursprünglich Kampstraße genannt, wurde nicht rechtwinklig auf die Bahnhofstraße ausgerichtet, sondern bildete einen Winkel von 120°.

    Bevor hier Filialunternehmen Standorte an einer attraktiven Straße wählten, hatte es dort selbstständige Einzelhandelsgeschäfte gegeben. Im Jahr 1872 ließ Eberhard Nettebeck aus der Landgemeinde Gelsenkirchen seine Parzelle an der Bahnhofstraße, von dem er den größeren Teil an den Kaufmann J. N. Rodenbusch verkauft hatte, zur Beurkundung durch einen „Königlich“ bestellten Landvermesser aus der Kreisstadt Bochum einmessen. Nettebeck befand sich ökonomisch offensichtlich in der Defensive; er behielt ein Drittel seines Grundstückes und überließ das attraktivere Eckteil an der neu begrenzten Kampstraße, der späteren Beskenstraße, dem (zugezogenen) Erwerber. Erst 1920 kamen beide Teile wieder in eine Hand.

    Gleichzeitig mit dem Bauvorhaben Rodenbusch wurden an der Beskenstraße Grundstücke für kleine Wohnhäuser gebildet. Im Erscheinungsbild zeigt nur noch das Haus Beskenstraße Nr. xx früheres Aussehen, das Wohnhaus wurde 19xx für gebaut; im Fassadenschmuck.
    Bild4. ältestes Dokument in den Bauakten: der Teilungsplan von 1872

    Der Stadtplan-Ausschnitt zeigt, daß um 1889 die Bebauung von Gelsenkirchen noch stark auf einen schmalen Streifen beiderseits der Bahnhofstraße beschränkt war. Die heutige Husemannstraße war eine Eisenbahntrasse. Gestrichelte Straßen deuten Fluchtlinienpläne an. Für die Beskenstraße war der Fluchtlinienplan vom 25.11.1887 bindend.
    Bild5. Ausschnitt aus einer Karte 1: x.000 des Kreises Gelsenkirchen von 1889

    Auf dem Grundstück Nettebeck beantragte 1893 der Bäckermeister Carl Siepmann, der dort zur Miete war, den Bau eines Backofens und eines Anbaus im Hof. Ob er ausgeführt wurde, ist nicht eindeutig zu erkennen.
    Bild6. Grundstückssituation an der Ecke Bahnhofstraße/ Ecke Beskenstraße, Lageplan von 1893

    1896 beantragte Bernhard Kreutner, dem das Grundstück inzwischen gehörte, eine Aufstockung des Hauses um ein zweites Obergeschoß und ein voll zu nutzendes Dachgeschoß. Die Fassade des Erdgeschosses sollte gänzlich auf Gußeisenstützen gestellt werden, um dort Schaufenster für zwei Läden und den Hauseingang unterzubringen. Aus dem Adreßbuch von 1896 geht hervor, daß Kreutner dort wohnte. Wieder ist offen, ob der Antrag realisiert wurde.

    Auf dem Nachbargrundstück Bahnhofstraße 43, Beskenstraße 1 und 3 war folgende Entwicklung eingetreten:
    Um 1895 kam es zu einem Neubau. 1899 befand es sich im Besitz der Wirte Heinrich und Ferdinand Kettgen aus Schalke.
    Die beiden Fotos zeigen eine Gründerzeitfassade, die mit der Anhäufung von historischen Schmuckelementen wie Loggien, Ziergiebeln, einem Ecktürmchen mit spitzer Haube, Pilastern, Friesen und vier spitz zulaufenden Balkonen auffallen wollte.
    Bild7. Blick in die Bahnhofstraße in Richtung Süden; links am Bildrand das gründerzeitliche Kaufhaus Sinn. In der Bildmitte das Eckhaus der Gebrüder Kaufmann in neubarockem Dekor, beim Kaufhaus Alsberg ist deutlich das aus bauordnungs-rechtlichen Gründen zurückgesetzte 4. Geschoß zu erkennen. Foto von ca. 1910 (9)
    Bild8. Ansichtskarte, Situation der Bahnhofsstraße zwischen 1904 und 1910, liks ist die Glas-Eisen-Fassade vom Kaufhaus Sinn zu erkennen (10)
    Bild9. Bahnhofstraße, Blick nach Norden auf die beiden Eckhäuser zur Beskenstraße, rechts das Kaufhaus Gebrüder Kaufmann nun mit einer im Zeitgeschmack mo-dernisierten Fassade, Aufnahme ca. 1920 (11)

    (9): Foto aus: Heinz-Jürgen Priamus (Hg.) „Ein Rundgang durch das alte Gelsenkirchen“, Wartberg-Verlag Gudensberg-Gleichen 1999
    (10): Foto aus: Kurowski, Hubert: Gelsenkirchen in historischen Ansichtskarten, Essen 1996
    (11): nicht datiertes Foto aus dem Firmenarchiv Sinn-Leffers GE, einen zeitlichen Hinweis kann der Zustand des Gebäudes Bahnhofstraße 51 (?) geben, das hier bereits eine neohistoristische Fassade aufweist.

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Beitrag von Verwaltung »

  • Vorgängerbauten: Das Kaufhaus Stamm und das Geschäftshaus Bahnhofstraße 43

    1899 kam es zu einem völligen Neubau mit einem dreigeschossigem Geschäftsraum./Ladenteil. Als Bauherr trat die Fa. J. (Isidor) Scherbel & Co. (12) auf, deren Inhaber - nach einem in den Bauakten abgehefteten notariellen Vertrag zu schließen - die beiden Kaufleute Isidor Grunewald und Sally Stamm (13) aus Gelsenkirchen waren.
    In einem späteren Bericht wird vom Kaufhaus Stamm gesprochen.
    Bild10. Der Lageplan von 1899 zeigt zwar das ganze spätere Sinn-Grundstück, das damals aber noch zwei Eigentümern gehörte. Das neue Kaufhaus Stamm wurde von hinten über eine gemeinsame Zufahrt erschlossen. Rechts daneben hinter den Häusern Beskenstraße xx und xx lag das „Personalwohnhaus“.

    Den Entwurf lieferte der (Gelsenkirchener??) Architekt Josef Zimmermann.
    Für eine deutliche Vergrößerung des Geschäftsvolumens blieb nur eine mehrgeschossige Lösung. Um den Platz für die Tragekonstruktion so gering wie möglich zu halten, wurden keine massiven gemauerten Pfeiler gewählt, sondern eine Gußeisenkonstruktion.
    Der Bauantrag wurde am 29. August 1899 gestellt, nachträglich wurde um geringere Deckenbelastungen nachgesucht. Die Bauerlaubnis ist datiert auf den 30. Oktober 1899.

    Die stark auf vorgefertigte Elemente aufgebaute Konstruktion hatte etwas sehr Modernes. Es kann zudem ein lokaler Bezug angenommen werden: In Gelsenkirchen gab es mehrere Werke, die Gußeisen produzierten.

    Der mit einem Lichthof überdachte mehrgeschossige Ladenteil hatte für die Emporen gußeiserne Stützen.
    Bild11. Das repräsentative Treppenhaus vom Kaufhaus Stamm

    Die Kunden sollten über einladende aus dem Schloßbau übernommenen doppelläufigen Treppen in die Obergeschosse geleitet werden.

    <table class="postbody" cellpadding="20" bgcolor="#ffffff"><tr><td>Bild12. Zweiläufige Treppen hatten ihr
    Vorbild im aristokratischen Milieu;
    hier eine von Schlaun entworfene
    Treppe in Schloß Clemenswerth
    </td></tr></table>

    Vom Typ neuartig war für Gelsenkirchen, daß es sich bei diesem Gebäude um eines der ersten reinen Geschäftshäuser handelte. Der Inhaber oder Geschäftsführer wohnte nicht mehr über den Betriebsräumen.
    Bild13. Längsschnitt

    In dieser Zeit wurde auch ein notarieller Vertrag mit den Eigentümern von Nr. 43 über einen gemeinsamen Zugang von der Beskenstraße geschlossen.
    Bild14. Das alte Foto mit Reklametexten zeigt, daß das damalige Warenangebot breit war. Neben Kurz- und Weißwaren, Baumwoll-, Putz- und Luxuswaren wurden auch Bettstellen, Schuhe und Lebensmittel angeboten. (14)

    Bild15. Das Innere des ersten Sinn-Warenhauses, Situation nach 1906, Blick nach hinten zur Treppenanlage (15)

    Damals wie heute brauchen Fachgeschäfte motivierte Verkäufer; es werden überwiegend Frauen gewesen sein. Die Inhaber errichteten deshalb 1899 (?) auf dem Hintergrundstück ein Personalwohnhaus, sozusagen ein kleines Pendant zu den Arbeiterkolonien. Die Grundrisse sind ein sozialgeschichtliches Dokument: Die 14 Kammern in zwei Geschossen und dem ausgebauten Dach waren etwa 13 m² groß. Zum Heizen mögen Kanonenöfen in den Zimmerecken gedient haben; fließendes Wasser ist kaum anzunehmen. Die beiden WC's befanden sich im Treppenhaus. Dieses Gebäude wie auch das ganze Kaufhaus erhielt erst 1906 einen Anschluß an die städtische Kanalisation. Es bestand bis 1966 und wurde erst im Zusammenhang mit der letzten größeren Erweiterung von Sinn abgebrochen, war aber schon 1928 im Zusammenhang mit dem Neubau von Bruno Paul innen völlig verändert und umgenutzt worden.
    Bild16. Aufteilung der Kammern im Personalgebäude

    (12) Herkunft unbekannt; möglicherweise gehört er zur Familie Ferdinand und Johanna Scherbel, die 1872 in der Textilstadt Chemnitz lebte; Hinweis in: Jürgen Nitsche, Juden im Wirtschaftsleben der Stadt Chemnitz – Ein Überblick (Internet)
    (13) Sally dürfte in diesem Fall eine familiäre Koseform von Salomon gewesen sein.
    (14) Foto aus Ruhr-Nachrichten Nr. 18, 22.1.1994
    (15) Foto aus Archiv Sinn-Leffers

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  • Der Wechsel zu Sinn

    Im Jahr 1904 kam es zur Übernahme des Kaufhauses Stamm durch die Fa. Sinn und Co.. Die Ursprünge der Firma begründete der 1786 in Freudenburg (Freudenberg ?) geborene Wanderhändler Johannes Sinn. Er gründete 1835 ein Stammlager in Köln. Seine fünf Söhne Andreas, Heinrich, Wilhelm, Franz und Anton errichteten Filialen in Eschweiler, Aachen, Krefeld und Dortmund; doch das Geschäft blieb zusammen und firmierte deshalb unter „Gebrüder Sinn“.

    Expansion in diesen Jahren
    Bild17. Kaufhaus Sinn in Hagen um 1905, um eine größere Wirkung zu erzielen hatte Engler eine einheitliche Fassade für zwei Kaufhäuser entwickelt; die Fa. Sinn befand sich im rechten Flügel. (16)

    Im Februar 1906 erließ die Stadt Gelsenkirchen eine (nicht dokumentierte) Verfügung in Hinblick auf Brandschutz-Mängel. Zu der Zeit betrieb bereits die Fa. Sinn & Co. das Kaufhaus. Die Inhaber Stamm und Grunewald hatten ihren Geschäftssitz inzwischen nach Düsseldorf an die Immermannstraße, die repräsentative Achse zwischen Bahnhof und Altstadt, verlegt.

    Für eine im März 1906 eingereichte Änderungsplanung wurde der Architekt Otto Engler (1861-1940) (17) eingeschaltet. Engler hatte ein Büro in Düsseldorf und hatte in der weiteren Umgebung von Gelsenkirchen mit dem Neubau des Warenhauses Althaus in Dortmund in den Jahren 1903/04 auf sich aufmerksam gemacht. 1905 erbaute Engler der Fa. Sinn in Hagen ihr erstes größeres Kaufhaus.

    Die Umplanungen durch Engler sahen vor, daß ein abgeschlossenes Nottreppenhaus eingerichtet und andere Treppen massiv in Beton ausgeführt wurden. Ebenfalls wurde die offene Verbindungen zum Kellergeschoß, das ursprünglich auch dem Verkauf diente, geschlossen.
    Bild18. Das Innere des ersten Sinn-Warenhauses; Situation nach 1906, Blick in Richtung Eingang (18)

    Bei der Eröffnungsfeier 1928 für den Bruno Paul-Neubau berichtete der Geschäftsführer Schulte, daß ein Neubau schon 1914 geplant gewesen sei, aber durch den Ausbruch des Weltkrieges unterblieb. (19) Das mögen Überlegungen gewesen sein, denn erst am 1. Juni 1915 ging das Grundstück Bahnhofstraße 41, auf dem die Fa. Sinn seit mehr als zehn Jahren ein Kaufhaus betrieben hatte, aus den Händen von Kaufmann Sally Stamm und seiner Ehefrau Jelke (?) Grunewald, möglicherweise Tochter (oder Witwe) des früheren Geschäftspartners in das Eigentum der Firma Sinn über.

    Das Nachbargrundstück Bahnhofstraße 43 konnte erst 1920 für 632 000 Mark von Gertrud Kettgen, Witwe oder Tochter eines der Schalker Wirte, von Sinn gekauft werden. Sofort wurde in beiden Erdgeschossen der Geschäftsbetrieb unter dem eingeführten Namen aufgenommen. Das war zwar eine große Verkaufsfläche, doch durch die vergleichsweise willkürlich angeordneten Stützen kein besonders attraktiver Raum.
    Bild19. Erdgeschoßplan mit den beiden 1920 zusammengefaßten Läden

    (16) Foto aus E. Grunsky, S.
    (17) Informationen zu Otto Engler in: Eberhard Grunsky „Otto Engler Geschäfts- und Warenhausarchitektur 1904-1914“; Rheinland-Verlag 1979, Landeskonservator Rheinland, Arbeitsheft 28“. Engler (1861–1940) hatte sich für „Geschäfts- und Warenhausbauten“ spezialisiert. Eines seiner ersten größeren Objekte war Kaufhaus Althoff in Dortmund 1903/04. Für die Firma Sinn entwarf Engler 1905 ein Kaufhaus in Hagen und 1906 eines in Krefeld.
    (18) Foto aus Ruhr-Nachrichten Nr. 18, 22.1.1994
    (19) Bemerkung in der Rede von anläßlich der Eröffnungsfeier, wiedergegeben im Bericht der „Gelsenkirchener Zeitung“ vom 25.10.1928

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  • Der Neubau von 1928 durch Bruno Paul

    Nun war in Hochkonjunkturphase der „Weimarer Republik“ in den Jahren 1927/28 ein zweiter Anlauf gemacht worden.
    Zu der Zeit allgemeine Expansion bei Sinn ?

    Aus den Bauakten läßt sich ersehen, daß Ende 1927 Planungen für einen Neubau einsetzen. Als Bauherr trat die „Sinn & Co. G.m.b.H.“ auf. Der Anspruch, der mit dem Neubau in Gelsenkirchen und bald darauf auch mit einem weiteren Kaufhaus in Essen verbunden war, zeigte sich, daß für Entwurf und künstlerische Leitung Bruno Paul gewählt wurde, zu der Zeit ein sehr bekannter Professor an der Berliner Kunsthochschule.

    Der Bauantrag wurde am 23. März gestellt, Änderungen noch im April nachgereicht und die Genehmigung am 21. Juni 1928 erteilt. Mit den Abbrucharbeiten für die Gebäude war bereits im März begonnen worden. Weil dadurch in dem einen Haus an der Beskenstraße zwei Wohnungen mit 12 Räumen verlorengingen und Wohnraum damals wegen akuter Notstände bewirtschaftet wurde, mußte Sinn ohne öffentliche Förderung zustande gekommenen Ersatz in Neubauten nachweisen. Schwieriger war eine andere Verfahrenshürde: Die Firma wollte ein viergeschossiges Gebäude errichten. Die Bauordnung des Siedlungsverbandes sah aber nur Höhen von xx m vor. Mit einem Staffelgeschoß, also einem Zurückspringen des obersten Geschosses, wäre dem Genüge getan worden. Das wäre bei der Bahnhofstraße vergleichsweise leicht gegangen. Schwieriger wäre das in der schmaleren Beskenstraße mit noch knapperen Baufluchtregelungen geworden, weil die im rückwärtigem Gebäudeteil vorgesehene Rolltreppe eine bestimmte Länge brauchte. Es gab einen Präzedenzfall beim Kaufhaus Alsberg, wo für den Flügel an der Augustastraße (?) auch auf einen Rücksprung verzichtet wurde. Der Direktor des Ruhrsiedlungsverbandes mußte für einen Dispens eingeschaltet werden; er war in einem Gespräch versprochen worden, traf aber erst nach Fertigstellung des Gebäudes ein.

    Am 24. Oktober 1928 fand die feierliche Eröffnung statt. „In nur 5 Monaten wurde dieser Bau geschaffen.“ titelte die Gelsenkirchener Zeitung, es sei eine „äußerste Rationalisierung der Arbeiten“ erfolgt. Der Bau war von der Firma Philipp Holzmann AG, Köln „in Enterprise“ ausgeführt worden; heute steht dafür der Begriff Generalunternehmer. Die Ausführung der Maurer- und Stahlbetonarbeiten geschah durch Holzmann, aber es seien „auch Gelsenkirchener Unternehmer in weitmöglichstem Umfang berücksichtigt worden, so daß die rasche in der Qualität hochstehende Bauausführung für das heimische Baugewerbe einen neuen Erfolg darstellt. Tag und Nacht ist hier mit regstem Fleiß geschaffen worden.“ (20)
    Bild20. Grundriß des Neubaus von 1928 aus Deutsche Bauhütte (21)

    Das Gelsenkirchener Kaufhaus ist ein Eisenbeton-Skelettbau; (erst später kam der Begriff Stahlbeton auf). Es besticht durch einen sehr klaren Rastergrundriß, der sich an der Parzellengrenze parallel zur Beskenstraße ausrichtet.
    Nicht alle Felder sind gleichgroß. Der offene Raum hatte eine Größe von 10 x 15 m.
    Das Grundstück wurde im vorderen Teil zu 100% überbaut.
    Wirtschaftshof auf Nachbargrundstück

    Durch die Rundung der Fassade an der Ecke Bahnhofstraße/ Beskenstraße wird der für ein Raster ungünstige Parzellenschnitt geschickt überspielt. Gleiches gilt für das Treppenhaus an der Bahnhofstraße, das außen turmförmigausgebildet wurde.
    In architektonischer Sicht zwei bedeutende Elemente: Lichthof und Fassade, Lichthof sehr „minimalistisch“.
    Bild21. Die „runde Ecke“ ist ein begrifflicher Widerspruch, sie wurde aber vielleicht gerade deshalb zu einem Lieblingsdetail der Architektur um 1925

    Das neue Kaufhaus hatte zwei Eingänge. Durch die Schräge an dem auffälligen Turm und die Rundung an der rechten Seite des Haupteinganges sollten die auf der Bahnhofstraße gehenden Menschen in das Gebäude „gezogen“ werden.

    Der lange schmale Schacht der Rolltreppe führte die Benutzer jeweils in Richtung Tageslicht. Für die Heruntergehenden gab es gegenüber eine lange geradläufige, on einem Podest unterbrochene Treppe. Alternativ konnte der Aufzug benutzt werden. Einer war als Lastenaufzug deklariert worden.

    Zweites Treppenhaus in einem turmförmigen Baukörper
    aus Sicherheitsgründen mußte der Zugang durch eine zweiflügelige Türe abgetrennt werden.

    Das Glas lieferte die Fa. Deutsche Opakglaswerke aus Freden/ Leine.

    Im Keller befanden sich die Heizung, eine Transformatorenanlage, Warenlager und Räume für die Dekorateure.

    (20) Zitat s. o.
    (21) Abbildung aus: Deutsche Bauhütte1929 S. 156,

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  • Die Eröffnung am 24. Oktober 1928

    Der Bau muß auf die Zeitgenossen in seiner Neuartigkeit und künstlerischen Radikalität wie ein Ufo gewirkt haben. Das kann auch aus den Reaktionen in der örtlichen Presse rekonstruiert werden. Die „Gelsenkirchener Zeitung“ hatte den Bau bereits zuvor am Sonnabend, 20. Oktober 1928 ausführlich vorgestellt. Leider ist dieser Bericht nicht überliefert worden. (22)
    Bild22. Zeitungsfoto vom Eröffnungstag

    Aber der Bericht vom Eröffnungstag ist auch voller interessanter Details: „Am Morgen des 24. Oktober gegen 3.00 Uhr fiel die graue Hülle, die bisher die interessanten Formen des Baues größtenteils verdeckte. Zugleich erfolgte die Generalprobe für die Beleuchtung. Und es war ein eigenartig fesselnder Anblick, als im nächtlichen Dunkel plötzlich die grellen Lichter der Schaufenster aufflammten und die breiten horizontalen Lichtflächen im mystischen Grün des Opakglases scharf hervortraten. Nun, am Morgen, ist der nächtliche Spuk verschwunden. Dafür tritt der Bau selbst in seiner ganzen Eigenart in die Erscheinung.. Die breiten Bahnen des Opakglases gehen vom beherrschenden Turmtrakt aus, brechen sich in prachtvollem Schwunge auf der Ecke – diese Eckscheibe soll die am stärksten gebogene Europas sein – und verlaufen mit der gleichen Eindringlichkeit weiter auf der Kampstraße [jetzt Beskenstraße], um auch auf dieser bis dahin unscheinbaren Straße bei ihrem Aufstoßen auf die Bahnhofstraße eine Eckbetonung zu geben, wie sie besser nicht zu denken ist. Auch beim Publikum, das erfährt man immer wieder, imponiert dieses neue Haus trotz oder vielleicht wegen seiner weit und breit einzig dastehenden Neuartigkeit.“
    Bild23. Nachtaufnahme (23)

    Mittags gab es einen Eröffnungsakt mit Prominenz und geladenen Gästen. Der Bericht der Gelsenkirchener Zeitung ist auch darüber sehr ausführlich. Zum Beispiel waren den Bauverantwortlichen der Firma Sinn seit dem 1. April 1928 durch die Bildung der neuen Stadt „Gelsenkirchen-Buer“ die bisherigen kommunalen Ansprechpartner abhanden gekommen, da Oberbürgermeister von Wedelstaedt und Stadtbaurat Arend in den Ruhestand gegangen waren. Da aber an dem Tag Oberbürgermeister Emil Zimmermann durch eine Reise nach München verhindert war, persönlich zu erscheinen, war es eine schöne Geste, daß er seinen Vorgänger mit seiner Vertretung beauftragte. So konnten beide Beamte zusammen mit dem neuen Bürgermeister Sprenger der Firma Sinn „herzliche Glückwünsche der Stadt zur Vollendung dieses Hauses“ überbringen. Unter den weiteren Ehrengästen befanden sich Vertreter der Polizei. Für die Industrie- und Handelskammer Bochum waren der Gelsenkirchener Kommerzienrat von Oerdingen und Syndikus Dr. Franke erschienen. Ein besonderer Ehrengast war der Reichstagsabgeordnete Sinn aus Aachen, ein Nachkomme aus der Gründerfamilie.

    Die Rolle des stolzen Hausherren lag bei dem Geschäftsführer Schulte. Er hatte diese Funktion schon vorher und seine Unterschrift steht unter jeder Genehmigungszeichnung. Ihm war nun am Morgen auch die Geschäftsführung für den Neubau übertragen wurde. Schulte erklärte, daß aus Anlaß dieser Eröffnung eine förmliche Umbenennung vorgenommen worden sei: statt „Sinn und Co.“ hieße nun auch das Gelsenkirchener Geschäft einheitlich wie andere „Gebrüder Sinn“.

    Vielleicht sollte angesichts des funktionalen Gebildes und der anonymeren Struktur ein familiäres Element hinzukommen. Jedenfalls streifte als nächster Redner der Vorsitzende des Aufsichtsrates der Westdeutschen Handelsgesellschaft, der Dachgesellschaft aller Sinn'schen Kaufhäuser, Dr. Kroll, die Firmengeschichte: „Vor etwa hundert Jahren seien sechs Brüder Sinn , die bis dahin jahrhundertelang in Querenburg auf ihrer münsterländischen Scholle gesessen hatten, in die Städte ausgewandert.... Von Aachen aus verbreiteten sich weitere Gründungen über fast alle bedeutenden Städte des Westens, die zum Teil von den Söhnen, zum Teil von den Enkeln der ersten Brüder Sinn stammen. Im Jahr 1926 wurde als zusammenfassende Dachgesellschaft die „Westdeutsche Handelsgesellschaft in Köln“ [im Original ohne Anführungsstriche, jedoch gesperrt geschrieben] gegründet, der auch zahlreiche Großhandlungen und Fabriken zur eigenen Herstellung gewisser Artikel angegliedert sind. Mit dem deutschen Vaterlande erlebten so die Sinnschen Kaufhäuser in Jahren eine blühende Entwicklung. Nach Krieg und Inflation sei die Gesellschaft heute vollkommen gesund und leistungskräftig und habe ihre Verhältnisse wohl konsolidiert. Also dürfe man auch für die Zukunft über der wie bisher die Devise echten Kundendienstes stehen solle, eine günstige Aufwärtsentwicklung erwarten.“

    Dr. Kroll betonte die enge und gute Zusammenarbeit mit dem anwesenden Architekten. Er lobte die zweckmäßige Grundrißlösung und betonte die Eigenart und Vorzüge des Lichthofes, der wegen seiner zurückgesetzten Tragekonstruktion wohl einzigartig sei.

    Die Gelsenkirchener Zeitung druckte auch die Schlußworte des alten und neuen Gelsenkirchener Geschäftsführers Schulte ab: „Ehrlich im Handel, christlich im Wandel!“ Bedeutete „Wandel“ die Vorahnung der Reichskristallnacht?

    Die Gelsenkirchener Zeitung schließt: „Um 3 Uhr nachmittags öffneten sich die Pforten des neuen Hauses. Draußen wurde dieser Augenblick von einer großen Menschenmenge erwartet, die bald lebhaft hereindrängte und bald alle Gänge und Geschosse füllte. Natürlich war insbesondere die Rolltreppe sogleich fleißig in Benutzung genommen worden. Das lebhafte Gedränge dauerte bis zum Abend unvermindert an. Man darf es wohl als ein gutes Omen ansehen für die Zukunft.“
    Bild24. Dieser Briefkopf, der die Qualität der Typographie der 20er Jahre widerspiegelt, wurde bis in die Mitte der 30er Jahre genutzt.

    (22) Leider läßt sich der Text im Stadtarchiv wegen Überlieferungsmängel nicht nachweisen
    (23) Foto aus: Deutsche Bauhütte1929, S. 157, Fotograf Mantz (Sinn-M. 3)

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  • Exkurs 1: Der Architekt Bruno Paul

    Bruno Paul, der dem Neubau von Sinn das „Gesicht“ gegeben hat, war nach heutigen Begriffen ein „Designer“. Er hat mehrere tausend Möbel und Lampen entworfen. Totalausstattung für reiche Leute.

    Bruno Paul wurde 1874 in Seifenhennersdorf geboren.
    Milieu
    Brüder
    ging nach München
    Feinmotorik künstlerische Begabung
    Zeichnen Entwerfen
    Fähigkeit zuerst bei Karikaturen eingesetzt
    dann Möbeldesign. Möbelentwürfe.

    Mies van der Rohe durchlief bei ihm eine Schreinerlehre.

    Mit diesem Hintergrund aus dem Kunsthandwerk war es charakteristisch, daß Bruno Paul zu den zwölf Künstlern und Architekten gehörte, die im Oktober 1907 in München den Werkbund gründeten. Weiter WB-Mitglieder der ersten Stunde waren u.a. Peter Behrens aus Düsseldorf, bald Chefgestalter bei der AEG in Berlin, der Architekt und einflußreiche Münchener Hochschullehrer Theodor Fischer aus, Josef Hoffmann aus Wien, dort Gründer der Werkstätten, der Kera-miker Max Laeuger aus Karlsruhe, Joseph Maria Olbrecht aus Darmstadt, Richard Riemerschmid aus , Paul Schulze-Naumburg. Dazu kamen der Verleger Eugen Diederichs (viele Buchreihen, u.a. „Märchen der Völker“ „Sammlung Thule“) und Unternehmen und Unternehmer wie die Deutschen Werkstätten für Kunsthandwerk Dresden („Hellerau“), Vereinigte Werkstätten für Kunst und Handwerk München (hier ließ Bruno Paul seine Entwürfe umsetzen), die Saalecker und Wiener Werkstätten, der Besteckfabrikant Peter Bruckmann ( ). Bald wurde der Werkbund eine Instution.

    Hermann Muthesius hatte im Gründungsmanifest die Losung ausgegeben, daß der Werkbund die ganze menschliche Lebenswelt gestalten wolle: „vom Sofakissen bis zum Städtebau“. Mit diesem Impuls sind starke gestalterische Erfolge erzielt worden. Von 1907 bis 1927 hatten sich bei Bruno Paul wie für die anderen Gründungsmitglieder die Formsprache verändert, aber es war schon eine faszinierende Idee für den Warenhauschef wie den Künstler-Architekten ein Kaufhaus als Gebäude samt Inhalt und Präsentationsweise „von einer Hand“ gestalten zu lassen.
    Letztlich wird das bis heute konsequent: Lifestile, aber Innenarchitektur, eher im Duchschnitt-Wohlfühl-Look.
    Bild25. Bruno Paul war vielseitig: Ausstellungsplakat von 1906 (24)

    Der Schwerpunkt seiner Architekten-Tätigkeit lag in Berlin, doch hatte Paul schon 1906 in Joseph Feinhals einen frühen und potenten Förderer in Köln gefunden. (25)
    Bruno Paul unterhielt in Köln seit 19xx ein weiteres Planungsbüro. Die Ausführungsplanungen besorgte der Architekt Weber. Seine Unterschrift findet sich auf allen Gelsenkirchener Bauantragsunterlagen.

    Paul unpolitisch
    Umorganisation der Künstlerausbildung in Berlin

    Zur Zeit Planung der Beauftragung durch die Gebrüder Sinn GmbH (?) erfolgte auch die Planung für das Dischhaus in Köln.
    Bild26. um 1928 verwendeter Briefkopf des Kölner Büros

    Ungefähr gleichzeitig mit der Planung für Gelsenkirchen, im November 1928, gestaltete Bruno Paul in Berlin mehrere ineinander übergehende Ausstellungsräume für die Glasindustrie. (26)

    (24) aus Ziffer, S.
    (25) Hagspiel, Wolfgang: Die Kölner Bauten, in Alfred Ziffer (Hg.) Bruno Paul
    (26) Hinweis in: Ziffer, Alfred (Hrsg.): Bruno Paul – Deutsche Raumkunst und Architektur zwischen Jugendstil und Moderne, Katalog zu einer Ausstellung des Stadtmuseums München, München 1992

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  • Die zeitgenössische Rezeption/ Beurteilung des Neubaus in der Fachpresse

    In der Fachpresse folgten über das Kaufhaus Sinn mehrere ausführliche wohlwollende Veröffentlichungen. Sie sind Dokumente der zeitgenössischen Architektur- Begrifflichkeit und der damaligen Architektur-Rezeption. Dabei wird, wie das auch heute durchaus noch üblich ist, der Architekt Gesprächsanstöße gegeben haben. Die Beiträge enthalten auch professionelle Fotos, die jetzt nach den viele Veränderungen ebenfalls wichtige Dokumente geworden sind. Schon 1928, wenige Wochen nach der Eröffnung, erschien in der Kölner Zeitschrift „Die Bauschau“ ein Artikel von Valentin Fuhrmann, 1929 folgte ein Beitrag von Oelmann in der (Berliner?) Zeitschrift „Deutsche Bauhütte“. Beide Artikel sind gut bebildert; der Name des Fotografen wird nicht genannt.
    Bild27. Eckansicht von einem Standort etwa auf der Höhe des 1. OG (27)

    Beide Verfasser bezeichnen das Gebäude als „ungewohnt und bedeutend“. Über die „städtebauliche Wirkung in der Hauptverkehrsstraße ... dürfte kaum zu streiten sein.“ Der „Baugedanke [ist] ... eine wirkungsvolle Unterstützung der elementaren Gesetze des Straßenraumes durch die Horizontalen, da sie nicht linear, sondern mit starker Flächigkeit in die in die Straßenflucht einstimmen.“
    Bild28. Ansicht von einem Standpunkt in der Höhe etwa des 2.OG mit dem charakteristischen Treppenhausturm an der Bahnhofstraße, aber noch ohne den Werbeausleger mit dem Schriftzug „Sinn“ (28)

    Große Beachtung erhielt die Fassade. Gleich am Anfang stellt Fuhrmann die gestalterische und konstruktive Besonderheit in Beziehung zum kurz vorher fertiggestellten Hans-Sachs-Haus. „Das Geschäftshaus Sinn ist der zweite Großbau in der Stadt Gelsenkirchen, dessen Aufbau entsprechend den Geschoßebenen in vier durchgehende Horizontale aufgeteilt ist. Es fehlt die traditionelle Außenwand, die sonst mit vertikaler mit vertikaler Flächenordnung über dem Rahmen und Fundamentes und der Erdoberfläche beginnt. Außenwand sind beim Hause Sinn nur die Brüstungen, die als Stellwände die Geschoßebenen gegen außen begrenzen und die grünes Opakglas als Bekleidung tragen. Da diese Stellwände selbst keine tragende, sondern nur eine raumschließende Funktion haben und den Baukörper mit durchgehenden Fensterbändern nach außen öffnen, ist das Bauwerk auf ein Tragsystem angewiesen, das vollends im Innern der Räume liegt und gegen die Straße nicht in Erscheinung tritt. Dieser der Moderne angehörende Baugedanke, einen Baukörper nur aus Geschoßebenen bestehen zu lassen, die auf einem System von Stützen ruhen, wurde für das Geschäftshaus Sinn nicht nur um seiner neuartigen Architektur wegen, sondern aus zweckvollen Gründen gewählt.“
    Bild29. Ansichtszeichnung aus dem Büro Paul

    Oelmann betont den funktionalistischen (29) Aspekt: „Die Fassadengestaltung ist mit äußerster Konsequenz durchgeführt, um den Gedanken eines Zweckbaus unmittelbar in die Erscheinung treten zu lassen. Auch das Innere ist einzig und allein hierauf abgestimmt. Nichts als das konstruktive System ist sichtbar, in einfachen Linien äußern sich die dynamischen Kräfte der Eisenbetonkonstruktion, nirgends ein Ornament oder Verkleidung.“

    Die Fassade ist ein frühes Beispiel einer gestalterisch sichtbar gemachten „curtain-wall“ (30). Die tragenden Stützen können von außen nicht mehr abgelesen werden, sie sind um 2,50 m hinter die Front zurückgesetzt worden. Das bei Oelmann abgebildete Foto aus der Bauzeit zeigt den Raum zwischen der Stützenreihe und der Außenwand mit den Auskragungen der Deckenplatte und der gemauerten Brüstung, der die Glasverkleidung vorgeblendet war.
    Bild30. Foto aus der Bauzeit (31)
    Bild31. Ansicht von der Beskenstraße; der Schriftzug Sinn markiert den Nebeneingang (32)

    Die Brüstung diente innen als Stellfläche für halbhohe Warenauslagen. Außen waren, schreibt Oelmann, die Wandfläche vor dem Aufbringen der smaragdgrünen Opakverglasung aus Sicherheitsgründen sorgfältig verputzt worden. Zwischen Wand und Glas lag ein 3 cm starker Luftraum. Die Verkleidung und die Fensterverglasung wurde von „bronzenen Schienen“ gehalten. Über deren Detailausbildung wird nichts weiter berichtet und von ihr haben sich keine Spuren erhalten. Vom Shellhaus am Landwehrkanal in Berlin, 1929 von Emil Fahrenkamp entworfen, wird von einer ähnlichen Art der Befestigung berichtet. (33)
    Bild32. Gesamtansicht von Kaufhaus Sinn vor Anbringung des Leucht-Schriftzuges, Aufnahme auf Straßenniveau (34)

    (27) Foto aus Heinz-Jürgen Priamus (Hg.): Ein Rundgang durch das alte Gelsenkirchen, Wartberg-Verlag Gudensberg-Gleichen 1999
    (28) Foto aus Bauschau 3/1928 S. 11, Fotograf wahrscheinlich Mantz (Sinn-M. 1); dieses Foto druckte u.a. auch W. Busch ab.
    (29) Funktionalismus war ein Stück Architektenideologie.
    (30) Hinweis in Busch, Wilhelm „Bauten der 20er Jahre an Rhein und Ruhr“ Köln 1993
    (31) Foto aus: Deutsche Bauhütte1929 S. 156, Fotograf
    (32) Foto aus: Deutsche Bauhütte1929 S. 156, Fotograf
    (33) Notiz in der Bauwelt vom xx im Zusammenhang mit einer denkmalgerechten Wiederherstellung der Fassaden
    (34) Foto aus: Deutsche Bauhütte1929 S. 156, Fotograf Mantz (Sinn-M. 2)

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  • Oelmann nennt ausführlich die Gründe, die zur Verwendung von Glas geführt hatten: „Diese neuartige und im Ruhrgebiet zum erstenmal verwendete Glasflächenverkleidung soll in erster Linie der starken Verschmutzung durch Rauch und Ruß entgegenwirken. Das schmutziggraue Aussehen aller Ruhrstädte ist lediglich auf das ungeeignete Außenhautmaterial zurückzuführen. Jegliche Putz- und Werksteinflächen scheiden heute als geeignete Verblendmaterialien aus, da sich die Schmutzteilchen auf ihren rauhen Gefüge besonders leicht ablagern. Auch der hartgebrannte Klinker, der zurzeit als Frontmaterial sehr viel verwendet wird, verfällt der Verschmutzung ebenfalls schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit. Ob nun die glatte Glasoberfläche das geeignete Material ist, wird die Zukunft lehren müssen. Vorerst muß der Versuch als gelungen bezeichnet werden, da die grüne Außenhaut noch eine gleiche ungebrochene Leuchtkraft zeigt wie zur Zeit des Einbaues vor etwa einem halben Jahre. Andererseits werden sich die Glasflächen leicht und ohne große Kosten reinigen lassen.“
    Bild33. Blick im Erdgeschoß in den Lichthof (35)

    Betraten Kunden das Kaufhaus zog sie der helle Lichthof an. Das Innere war sehr klar gegliedert. In der Achse des Einganges befand sich am anderen Ende auf einen durch wenige Stufen erhöhtem Podest die Rolltreppe und die Fahrstühle in die Obergeschosse. Der Raum im Lichthof war anfangs nicht sehr vollgestellt.
    Bild34. Blick vom 3. OG durch den Lichthof auf die Rückwand (36)

    Der Eindruck innen mag etwas Überwältigendes gehabt haben. Tageslicht trat durch die umlaufenden Lichtbänder in jedem Geschoß und besonders durch die große Lichtdecke ein. Mit jedem Geschoß veränderte sich die Perspektive beim Blick nach oben und unten.
    Bild35. Blick aus dem 1. Obergeschoß in den Innenhof (37)
    Bild36. Plan der Nutzung des 2. Obergeschosses

    Eine besondere Attraktion war der Kaffeeraum im 2. Obergeschoß, den, wie Fuhrmann beschreibt, „eine Glaswand von den Verkaufsabteilungen trennt, und der durch die großen horizontalen Fenster und seine straßenseitige Lage einen ungestörten Ausblick in das Straßenleben gestattet.“ Zu sehen gab es viel. Bis 1941 fuhren die Straßenbahnen noch durch die Bahnhofsstraße.
    Bild37. Erfrischungsraum mit Blick zur Bahnhofsstraße (38)

    Die „Verkaufsphilosophie“, die mit dem Bau von 1927 zugrunde lag, faßt Fuhrmann in folgende Worte: „.. Verkauf und Kauf in eine Sphäre der Übersichtlichkeit zu stellen.“ Dem Besucher sollte deshalb eine „elegante und offenherzige Leichtigkeit moderner Raumwirkungen vermittelt werden.“ Für die Warenpräsentation wurde die Form einer „Passage“ gewählt: Die Käufer sollten an den beidseitig des Weges aufgebauten Waren entlanggehen. Das negative Gegenmodell war für den Autor der „Bazar“. Für das neue Prinzip war der Einsatz von viel Tageslicht entscheidend.
    Bild38. Schnitt durch den Lichthof
    Bild39. Blick vom 3. Obergeschoß: bildbeherrschend ist die große Lichtdecke. (39)
    Bild40. Warenpräsentation in dem Raum zwischen Stützenreihe und Fensterband; beachtenswert sind die dünnen Metallprofile der Fenster. (40)

    Arbeiten mit Licht
    Kugellampen als „Leitdetail“. Sie gab es schon im Bau von 1899.
    Tageslicht innen
    Nachtansicht
    Kunstlicht
    Neuartigkeit von Elektrizität als Antriebskraft für Aufzüge und Rolltreppen.

    Dieser Einsatz von Lampen war für die Zeitgenossen beeindruckend. Elektrische Beleuchtung war um 1920 noch ziemlich luxuriös. Wenige Jahre zuvor, Ende 1920, waren in Gelsenkirchen bei Großabnehmern zwar knapp 17.000 Glühlampen installiert, aber bei den Privathäusern, dem Kleingewerbe und der Kleinindustrie existierten 1920 erst 63.000 Glühlampen. Gelsenkirchen hatte zu der Zeit etwa 180.000 Einwohner und 40.000 Wohnungen. Allerdings hatten 28.000 Wohnungen Gasanschluß. (41)
    Bild41. Turmelement senkrechtes Lichtband (42)

    Oelmann macht Angaben über die Baukosten: „Der umbaute Raum umfaßt etwa 25 000 cbm, die Bausumme betrug abgerundet 1 Million Reichsmark, so daß sich ein Einheitspreis pro Kubikmeter von 40 RM ergibt.“
    Bild42. Treppenhaus in dem Turmteil an der Bahnhofstraße (43)

    In Essen ließ die Fa. Sinn am Limbecker Platz 1928 ebenfalls durch Paul ein Kaufhaus bauen, das in veränderter Form im Sommer 2006 abgebrochen wurden, um auf dieser Parzelle und auf benachbarten weiteren abgeräumten Kaufhausgrundstücken ein riesiges Einkaufszentrum zu bauen.

    <table class="postbody" bgcolor="#ffffff" cellpadding="10"><tr><td>Bild43. Das Innere des Essener
    Kaufhauses ähnelte sehr dem
    Gelsenkirchener Bau (44)
    </td></tr></table>

    (35) Foto aus: Werner Mantz, Fotografien 1926-1938 S.97 (Sinn-M. )
    (36) Foto aus: Bauschau 3/1928, S. 17, Fotograf Mantz (Sinn-M. )
    (37) Foto aus: Bauschau 3/1928, S. , Fotograf Mantz (Sinn-M. )
    (38) Foto aus: Bauschau 3/1928, S. , Fotograf vermutlich Mantz = Sinn-M.
    (39) Foto aus: Bauschau 3/1928, S. , Fotograf Mantz (Sinn-M. )
    (40) Foto aus: Bauschau 3/1928, S. , Fotograf vermutlich Mantz = Sinn-M.
    (41) Angaben aus dem Verwaltungsbericht der Stadt GE von 1920
    (42) Foto aus: Deutsche Bauhütte1929 S. 157, Fotograf Mantz (Sinn-M. 4) Der dort abgedruckte Abzug wurde wahrscheinlich nicht retuschiert
    (43) Foto aus: Werner Mantz, Fotografien 1926-1938 S.69, dort kein Hinweis auf den Ort; ebenso abgebildet in: Ziffer, Alfred (Hrsg.): Bruno Paul, S. 311, dort mit dem Hinweis auf Gelsenkirchen, aber kein Hinweis auf den Fotografen (Sinn-M. )
    (44) aus Ziffer S.

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Beitrag von Verwaltung »

  • Bauliche Veränderungen nach 1928:

    Kurz nach Fertigstellung brach die sog. Weltwirtschaftskrise aus. Schon damals, aber noch verstärkt in 30er Jahren fand eine ideologisch aufgeladene Diskussion über Warenhäuser statt: Sie wurden als „jüdische“ Einrichtungen verdammt.
    Auf „Übernahmen“ wurde eingangs kurz eingegangen. Sinn war als „arische“ Gesellschaft davon nicht unmittelbar betroffen.
    Bild44. Die Brüstungsbänder als Werbeträger – Schlußverkaufsstrategie um 1930, schon „Ausverkauf“ von Gestaltungs- und Qualititätsansprüchen? (45)

    Bruno Paul hatte eine gläserne Haut über das ganze Gebäude gezogen. Das war nicht nur ein ästhetisches sondern auch ein technisches Wagnis. Es gab mit diesem Material als Außenhaut wenig Erfahrungen. Auch dürfte Bruno Paul ein spezifisches Problem des Ruhrgebietes, die Einwirkungen des Bergbaus auf die Bausubstanz, anders als es der bergbauerfahrene Essener Architekt Alfred Fischer beim Hans-Sachs-Haus praktizierte, unterschätzt haben.
    Bild45. Eine 1941 geschrieben Ansichtskarte, das Foto zeigt den Zustand von der Mitte der 30er Jahre mit den ursprünglichen Fenstern und neuen ?? Brüstungsfeldern

    Bild46. Diese undatierte Ansichtskarte aus der Zeit um 1930 zeigt, daß es in der Bahnhofstraße von andere so in den Straßenraum hineinreichende Werbungen gab.

    Aus einer Zeitungsnotiz geht hervor, daß 1936 Bergschäden die Ursache waren, daß die Glasfassade solche Schäden aufwies, daß sie gänzlich verändert erneuert werden mußte. Die Brüstungsbänder wurden mit große Keramikelementen verkleidet. Im Zuge dieser Maßnahme wurde auch der prismatische Lichterker am Turm in ein flaches Band reduziert. (Anstelle der großen Fenster mit „liegenden Teilungen“ wurden – charakteristisch für den Wechsel der Architekturideale in der NS-Zeit – eng und hochrechteckig geteilte Fenster eingebaut. ??) Durch die durchgehende Fensterbänder und die kräftigen Simse unter und über den Fenstern blieb der Eindruck von „moderner Architektur“ erhalten.
    Bild47. Die Bahnhofstraße mit Kaufhaus Sinn in den frühen 50er Jahren, nun auch ohne Straßenbahn (46)

    Es scheint, daß das Kaufhaus im Zweiten Weltkrieg kaum größere Zerstörungen am Äußeren erlitten hat. So wurde das Gebäude in den frühen Auflagen von Reclams Kunstführer Nordrhein-Westfalen mit einer gewissen Berechtigung folgendermaßen erwähnt: „schöner Zweckbau von Bruno Paul 1928“, zuletzt sogar noch in der 6. Auflage von 1982, obwohl sich inzwischen das Erscheinungsbild völlig verändert hatte.

    Weil das Gebäude wohl leidlich intakt war, war die Hinzunahme neuer Nutzer verständlich. 1946 wurde das 2. Obergeschoß so umgestaltet, daß in den Räumen zur Bahnhofstraße die Ortskrankenkasse einziehen konnte. Andere Räume nutzte die aus Minden umgesiedelte Bekleidungsfirma Muermann. Daß auf die Weise Frauenarbeitsplätze geschaffen werden könnten, sollte die Erteilung der Baugenehmigung und der Materialzuweisungen beschleunigen.

    (45) Foto aus Archiv Sinn-Leffers
    (46) Reproduktion nach einer Ansichtskarte Eigentum J. Krauß

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  • BildAnzeige mit großzügiger Werbung, aber geringem „Kurvenschwung“
    Bild48. Die Situation nach 1954 - inzwischen gehörte auch das Grundstück Bahnhofstraße 39 zur Sinn AG. 1928 besaß es Levi Herz. (47)

    Am 21. August 1954 wurde vom Bauordnungsamt eine von dem Dortmunder Architekten Alfred Kalmbacher begleitete Umgestaltung der Fassaden genehmigt. Die Schaufenster wurden modernisiert, darüber eine Kragplatte als Sonnenschutz angebracht und große Holzfenster in den Obergeschossen eingebaut. Damals wurde auch der zweite Eingang an der Beskenstraße geschlossen. Für die Attraktivität der Straße ein Verlust. Auf Wunsch der Stadt mußte die große, in die Bahnhofstraße hineinreichende Sinn-Werbung auf dem Turm reduziert werden. 1955 waren alle diese Maßnahmen umgesetzt.
    Bild49. Situation um 1960, ungeteilte Fenster mit breiten Rahmen (48)
    BildSituation um 1960
    Bild50. Blick in die Beskenstraße, Situation ca. 1960/ 65

    Zu einer rigorosen baulichen Veränderung kam es in den 60er Jahren. Abermals hatte es mehrere Jahre mit guter Wirtschaftskonjunktur gegeben, Symptome des Wandels kündigten sich im Ruhrgebiet höchstens indirekt an: Das Bergwerk „Graf Bismarck“ förderte 1960 mit 7 478 Beschäftigten 2,6 Mio. t Kohle; 1965 war die Leistung fast gleich, aber die Zahl der Bergleute war auf 6 755 zurückgegangen. In diesem Jahr 1965 stellte im September die Westdeutsche Handelsgesellschaft Köln, die Mutterfirma der Sinn-Kaufhäuser, ihr Baukonzept bei der Stadt in Form eine Bauvoranfrage vor: Durch Umgestaltungen im Inneren, hauptsächlich durch die Schließung des Lichthofes und durch die Hinzunahme des Grundstückes Bahnhofstraße 39 sollte die Verkaufsfläche von ca. 2.500 m² auf 4.500m² gesteigert werden. Im Erdgeschoß sollte die Schaufensterfront durch eine Passage parallel zur Bahnhofstraße vergrößert werden und eine neue Fassade alle Bauteile einheitlich zusammenfassen. Das 3. OG sollte weiterhin nur für interne Zwecke genutzt bleiben. Die Planungen für die Umgestaltungen lieferte der Architekt E. H. Schleimer aus Remscheid-Lennep.

    Die dramatische Schließung der Zeche „Graf Bismarck“ geschah am 30. September 1966; alle Bergleute wurden entlassen. Das bedeutete auch verminderte Kaufkraft. Zu dem Zeitpunkt hatte die Firma Sinn schon die Genehmigung für den ersten Bauabschnitt erhalten und begonnen, das Konzept umzusetzen. Es geschah dann aber in reduzierter Form. Ob es einen Zusammenhang mit den Veränderungen der Montanwirtschaft gab, kann nur Vermutung sein. Die Firma wollte vielleicht gerade durch Massenabsatz gegensteuern, um zu überleben.
    Bild51. Das Textilkaufhaus mit Blechkleid

    Ende September 1966 wurde das veränderte Kaufhaus wiedereröffnet. Diesmal war keine kommunale Prominenz gekommen, aber die Firma hatte den Kletterkünstler Armin Dahl engagiert. Der wollte vom Hubschrauber auf das Dach abspringen, das verhinderten behördliche Sicherheitsbedenken. Nach einem Zeitungsfoto war das Gedränge der Neugierigen auf der Bahnhofstraße trotzdem sehr groß. Die neuen gläsernen Rolltreppen galten den Besuchern bei der Neueröffnung als besondere Attraktion. Sie wurden näher an das Nachbargrundstück gerückt in ein Deckenfeld neben dem geschlossenen Lichthof.

    Das 2. OG ist bis heute noch Verkaufsfläche.

    Die Verkleidung des Äußeren mit senkrechten Blechlamellen verhielt sich total konträr zur Konzeption von Bruno Paul. Das Bauordnungsamt hatte in einem Bescheid vom September 1966 dagegen keine Bedenken.

    1976 wurde mit der Erweiterung zur Bahnhofstraße 39 begonnen; im März 1977 wurden Hinzugekommenen 2000 m² in Betrieb genommen. Ein „Erker“ im Straßenraum bildet einen Blickfang auf der Bahnhofstraße.

    Zufahrtsregelung über die Weberstraße
    dort wurde ein Haus gekauft
    Kastenförmiger Teil in Richtung Innenblock, keine optische Attraktivität

    Bild52. der „Erker“ vom Erweiterungsteil

    Im Inneren hat es seit 1967 laufend Änderungen gegeben. Z. B. erfolgte eine optische Raumerweiterung durch eine verspiegelte Decke. Das war dann aber kein „öffentliches Thema“ mehr.

    (47) Foto aus Archiv Sinn-Leffers
    (48) Foto aus Archiv Sinn-Leffers

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Verwaltung
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Beitrag von Verwaltung »

  • Exkurs 2: Der Fotograf Werner Mantz und das Kaufhaus Sinn in Gelsenkirchen

    Daß das Kaufhaus Sinn trotz der Veränderungen - oder genauer Entstellungen - immer im architekturgeschichtlichen Gedächtnis bewahrt blieb, beruht sehr wesentlich auf den Aufnahmen, die der Fotograf Werner Mantz bald nach der Fertigstellung von dem Gebäude gemacht hat. Mantz wurde 1901 in Köln geboren. An der Bayerischen Lehr- und Versuchsanstalt München wurde er 1920/21 bei den Professoren Spörl und Lehnemann mit sämtlichen fotografischen Techniken der Zeit vertraut gemacht. Danach machte er sich 1922 selbstständig, eröffnete im Haus seiner Eltern am Hohenstaufenring ein Atelier und spezialisierte sich auf Porträt- und Architekturfotografie. Werner Mantz gewann die Kölner Architekten des „Neuen Bauens“ zu seinen Auftraggebern. Besonders für Wilhelm Riphahn machte er eindrückliche Aufnahmen, auf denen das Spiel von weißen Flächen und Schattenzonen zu eindrücklichen, sehr graphischen wirkenden Bildern führte. (49) Er hat nachträglich den Architekten die „Bilder“ hergestellt, die sie als „Vision“ von den von ihnen konzipierten Gebäuden hatten.

    Warenpräsentation „Neue Sachlichkeit“ Weil Bruno Paul in Köln „mitmischte“, lag eine Zusammenarbeit nahe. Für Mantz waren die Ergebnisse offensichtlich erfolgreich und wichtig. Ich habe xx verschiedene Aufnahmen nachweisen können, die Werner Mantz vom Kaufhaus Sinn in Gelsenkirchen gemacht hat. Das Bild mit den Kugellampen wurde zu einer Art „Erkennungszeichen“ , „Ikone“ In dem Bruno-Paul-Katalog von Alfred Ziffer war die Zusammenarbeit Pauls mit Mantz noch nicht bekannt, zumindest findet sich keine Namensnennung des Fotografen.
    Bild53. Diagonalblick im Lichthof (50)
    Bild54. Detail Mantz (51)
    Bild55. Ein großes Kaufhaus der 20er Jahre präsentierte auch „heikle“ Dinge (52)

    Unter den betont „sachlichen“ Fotos von Werner Mantz fallen zwei Montagen der Ansicht von der Beskenstraße auf. Mantz wählte eine „Frosch-Perspektive“, die dem Fußgängereindruck in der schmalen Straße entspricht und ihm erlaubt, sowohl die Fluchtpunktwirkung der Fensterbänder zu betonen und auch noch die Gebäudekante mit in das Bild hineinzunehmen. Mantz experimentiert mit der Wirkung, indem er in einer Variante den Treppenhausturm einmontiert, in einer anderen Variante den Fassadenabschnitt verdoppelt.

    Der Schwarz-Weiß-Charakter der Aufnahmen von Mantz hat die Erinnerung an die ursprüngliche Farbigkeit der Fassade verdrängt.
    Bild56. Die Fassade zur Beskenstraße, Fotomontage von Werner Mantz (53)

    Schon seit 1932 hatte Mantz ein Zweitatelier in Maastricht eingerichtet. Die Grundlage bildeten Aufträge von holländischen Architekten, die der Moderne zugewandt waren, z.B. Peutz, Swinkels und Wielders, mehr noch wichtige Institutionen wie die Niederländischen Staatszechen in Herleen und die Provinzial Wasserbaubehörde, die Mantz kontinuierlich beauftragten ihre Neubauten zu dokumentieren.

    Im Frühjahr 1939 verlegte Mantz seinen Lebensmittelpunkt ganz nach Maastricht. Er eröffnete ein Fotoatelier in zentraler Lage am Vrijthof und widmete sich der Kinderporträtfotografie. „Generationen von Maastrichtern haben sich von ihm verewigen lassen. Hier zeigte sich die gleiche Meisterschaft und dieselbe Überzeugungskraft wie in seinem anderen Werk.“ (54)

    In den frühen 70er Jahren schloß Mantz sein Atelier, aber konnte ein neuaufgekommenes Interesse an seiner Arbeit beobachten. Seine Fotos wurden als wichtige Bilddokumente aufgefaßt und zugleich wurde ihr hoher gestalterischer Anspruch gewürdigt. Eine Anerkennung dürfte die Präsentation seiner Fotos 1977 auf der documenta 6 in Kassel gewesen sein. Das Rheinische Landesmuseum Bonn veranstaltete 1978 eine Ausstellung, die allein für dem Fotografen gewidmet war. 1984 starb Mantz in Eijsden bei Maastricht.

    Inzwischen haben seine Bilder einen hohen Sammlerwert. (55) 1989 wurde die „Stichting Werner Mantz“ eingerichtet. Sie befaßt sich mit dem „promoting“ seines Werkes und darüber hinaus der Förderung der Fotografie, insbesondere der Fotografie in schwarz-weiß und mit natürlichem Licht und vergibt deshalb im Abstand von drei bis vier Jahren einen nach Werner Mantz benannten Preis. In der Ausstellungshalle von I. M. Pei veranstaltete das Deutsche Historische Museum in Berlin 2003 eine Übersicht „Deutsche Fotografie im 20. Jahrhundert – Von Körpern und anderen Dingen“. Da war Werner Mantz quasi selbstverständlich einer der 57 präsentierten Fotografen.

    Fotos vom Kaufhaus Sinn haben private Sammler sich zur Freude gekauft oder befinden sich in graphischen Kabinetten bedeutender Museen. Sie werden dort als „Bilder“ behandelt, nicht als Dokumente aus einer fernen Stadt oder „Abbilder“ von einem Gebäude, das es so schon lange nicht mehr gibt.

    (49) Veröffentlichungen dazu u.a.: Werner Mantz „Architekturphotographie in Köln aus der Graphischen Sammlung des Museum Ludwig der Stadt Köln“ 1982; Reinhold Mißelbeck, Wolfram Hagspiel „Werner Mantz – Vision vom Neuen Köln, Fotografien 1926 1932“ Köln 2000
    (50) Foto aus: Werner Mantz, Fotografien 1926-1938 S. 96 (Sinn-M. )
    (51) Foto aus: Werner Mantz, Fotografien 1926-1938 S. 95 (Sinn-M. )
    (52) Foto aus Werner Mantz, Fotografien 1926-1938 S. 119
    (53) Foto aus: Bauschau 3/1928 S. 10, Fotograf vermutlich Mantz (Sinn-M. 6)
    (54) Biogafische Notiz in der Internet-Selbstdarstellung der niederländischen Werner Mantz - Stiftung (www.wernermantz.nl )
    (55) 2006 wurden einige Fotos, die Mantz vom Kaufhaus Sinn Gelsenkirchen gemacht hat, beim Auktionshaus Villa Grisebach, Berlin für 6.000 € angeboten/ verkauft.

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Beitrag von Verwaltung »

  • Die Fassadenrenovierung von 2006

    Eigentumswechsel
    Sinn-Leffers wurde 2005 von Karstadt an die DIH (Deutsche Industrieholding) verkauft. (56)
    Verkauf an die englische Xx-Gruppe
    PGB in Frankfurt ??
    Modernisierungskonzept
    Gespräche zu Gestaltungsvarianten seit Frühjahr 2006

    Die Wiederherstellungsarbeiten an diesem wichtigen, interessanten Objekt sind ein Beispiel für die Handlungsspielräume unterhalb der Denkmalschutz-Kategorien/ ohne die Rechtsinstrumente
    keine Listeneintragung.
    Die Gemeinde kann in einer derartigen Position bei den Beteiligten nur um Verständnis werben. Es war vielleicht hilfreich, daß es bei einzelnen leitenden Angestellten des Hauses immer Interesse an der Vergangenheit des Gebäudes gegeben hat.
    Geschäftsführer 1966: Bolzenkötter
    Bilddokumente sind gesammelt worden.

    Bild57. Zustand 2007 nach Abschluß der Renovierung (Foto Martin Möller WAZ)

    Dem mit der Renovierung beauftragte Planungsbüro Piske und Partner aus Betzdorf, Projektleiter war der Architekt Ralf Utsch, war ein Finanzlimit gesetzt worden. Sie konnten deshalb gegenüber ihren Auftaggebern nicht verantworten, die Fassade von Bruno Paul denkmalgerecht zu rekonstruieren, aber sie waren offen für die Idee, das Grundschema des Entwurfes von Bruno Paul, die horizontalen Fensterbänder, als „Bild“ durch verschiedenfarbige Materialien wiederherzustellen. Die Fensterbänder zu rekonstruieren konnte sich auch deshalb kaum erzwingen lassen, weil für heutige Verkaufsräume Fenster nicht gebraucht werden und zur Zeit der Baumaßnahmen die zukünftige Art der Weiternutzung für das 2. und 3. Obergeschoß unsicher war. Für das neue Erscheinungsbild sehr wichtig war die Bereitschaft zur Rekonstruktion des senkrechten hinterleuchteten Dreieckserkers.

    Dabei trotzdem noch anfallende Mehrkosten durch Förderung über „Haus- und Hofflächen-Programm. ??
    Damit wurde ein Maßstab gesetzt.
    Signal für Qualität an Bahnhofstraße


    (56)Information aus dem Internet unter Sinn-Leffers

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