Großbäckerei Jäger

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Friedel
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Aushilfe

Beitrag von Friedel »

Ich kann hier auch nur aus eigener Erfahrung sprechen:

Ich habe als angehender Student 1988 bei Jäger als Aushilfsfahrer gearbeitet und mir auf dieser Art und weise mein erstes Auto finanziert. Zu der Zeit fuhren eigentlich nur noch diese Mitsubishi-Briketts durch die Gegend. Diese waren aber an sich sehr stabil, da ich das "Vergnügen" hatte, einen davon in "Kontakt" zu einem geparkten Auto zu bringen. Sprich: Runter vom Hof und in das Tourenbuch geschaut, nicht aufgepasst und dann einen geparkten Ascona längstseitig rasiert. Der damalige Prokurist, bei dem ich dann antanzen durfte, hat das aber relativ entspannt gesehen. Das lief wohl unter "passiert schon mal".

Im normalen Rhythmus wurden 3 Touren in der Woche gefahren: Di und Fr, Mi und Sa, und zusätzlich gab es Donnerstag eine lange Tour die nur einmal pro Woche gefahren wurde. Da man ein Tourbuch hatte, fuhr man von Kunde zu Kunde. Die Beschreibungen waren dann dementsprechend: Kunde A: rechts, 2. rechts, 4. Haus, 2. Stock links. Wenn man sich also einmal so richtig vertan hatte, dann war es für uns Aushilfen immer schwierig wieder auf den richtig Pfad zurückzufinden.
Am Abend nach der Ankunft wurde das Brot und der Kuchen zurückgeschrieben und die Ware kontrolliert. Dann hat man seine Planung für die Tour am nächsten Morgen gemacht, d.h. man hat einen entprechenden Bestellzettel ausgefüllt. Hat man schlecht kalkuliert, dann hatte man A: kein Brot oder keinen Kuchen mehr nach der Hälfte der Tour, oder B: man hat alles wieder reingebracht, weil es aus unerfindlichen Gründen mal diese Woche kein Rosinenstuten für Oma Bräsig sein durfte. Beide Varianten waren eher schlecht.
Es gab entsprechende Brot und Kuchenprämien für besonders erfolgreiche Mindestumsätze. Vor dem Aufenthaltsraum wurden dann die Rankings ausgehängt wer welche Platzierung hat. Als Aushilfsfahrer war man da so ziemlich chancenlos.
Ein weiteres Betätigungsfeld waren die "Werbepäckchen". Die ganzen Studis und Aushilfen durften dann auch Werbetüten packen. Dies waren kleine weiße Plastiktüten mit Aufdruck. In diese kamen 5 Scheiben Brot und dazu ein Werbezettel. Das ganze wurde dann von uns eingeschweißt und in 2 Fahrzeuge verladen. Ich glaube das waren immer so 2.000 Tüten. Dann ist man in ein neues Gebiet gefahren und hat "klinkengeputzt": "Guten Tag, ich komme von der Bäckerei Jäger und würde Ihnen gerne eine kleine Brotpobe hierlassen. Wir kommen dann in einer Woche wieder und würden dann gerne von Ihnen wissen, wie es Ihnen geschmeckt hat." Es wurde grundsätzlich nur bis zum 2. Stock verteilt und wenn niemand angetroffen wurde, an die Türklinke gehängt. Große Häuser waren uns Aushilfen immer die Liebsten, unten machte einer auf, Spruch aufsagen und den Rest aufhängen. Sonst wurde man nie fertig. Nach einer Woche ist dann der Fahrer für diese Gebiet die Tour abgefahren und hat dann seine möglichen neuen Kunden eingesammelt.

Alles in allem war es ein absoluter Stressjob, aber ich habe in der Zeit wohl fast das komplette Ruhrgebiet, Bergische Land und Teile des Sauerlandes kennengelernt.

Springer
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Beitrag von Springer »

@ Friedel
1988?
Dann sind wir uns bestimmt mal über den Weg gelaufen.
Vielleicht haben wir sogar mal zusammen die 6er gestürmt. Die von uns Aushilfen so geliebten 6-Familienhäuser.
Pro "Verteiler" hatten wir 250 Proben an Bord. 750 also, wenn wir zu dritt unterwegs waren.

Ansonsten klingen deine Schilderungen exakt so, wie es damals war.

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Friedel
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Beitrag von Friedel »

@Springer
Echt? Nur 750? Dann mag man es mir nachsehen. Das ist sicher so, wie bei einem Angler am Kanal, da wir der Fisch über die Jahre auch immer größer.

Ich fand es besonders frustrierend, dass man sich seine Arbeit, sprich die Probentüten, erst noch selber machen mußte. Und wenn die Schweißmaschine nicht richtig bedient wurde, dann hat man entweder die Tüte nicht richtig zu gekriegt oder gleich das obere Ende mit dem Griff gleich "abgeschweißt". Dann mußte alles wieder rausgefriemelt werden und neu verpackt. Wenn 2 Dreierteams rausfuhren, dann war man auch immer darauf erpicht, als erstes Team wieder drin zu sein. Das ging natürlich nur, wenn der alte Hase, der Tourleiter war und keine Aushilfe, auch mitspielte. Dann konnte man, bevor man wieder reinfuhr, noch irgendwo geschmeidig in die Pommesbude gehen.

Springer
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Beitrag von Springer »

Stimmt, nacher noch in die Pommesbude.
Mein Gott, in wie vielen ich wohl gewesen bin?

Der Job war zwar hart, besonders wenn man ein neue Tour übernahm und mit den Wegweisungen des Stammfahrers nicht sofort klar kam.
Da wurde es abends auch mal später und der Wagen war noch fast so voll wie man mit ihm morgens vom Hof gefahren war.

Aber mit dem Abstand von vielen Jahren erinnere ich mich heute gerne an die Zeit. Sie war schon prägend im Bezug auf die eigene Lebensplanung.

Was mich damals auch schon gewundert hat, war die Tatsache dass viele der Fahrer und auch einige der Tourenleiter wohl ursprünglich mal andere, bessere Vorstellungen von ihrem Berufleben hatten.
Da fuhren so manche potenzielle Juristen, Architekten oder Lehrer die Brötchen durchs Land.

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Friedel
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Beitrag von Friedel »

Eigentlich ist es schon verwunderlich.
Ich habe als Kind nie gerne Brot gegessen und der frische Brotgeruch der einen den Tag über begleitet hat, wahr für mich schon einen harte Nuss.
Dafür hat sich die Familie gefreut, dass man ja regelmäßig (ich glaube 2x die Woche) ein Brot und Kuchendeputat bekam. Meine Mutter hat das Brot immer eingefroren und wir haben dann anschließend wochen- und monatelang das Jägerbrot gegessen.
Den Kuchen und die Teilchen waren eher nach meinem Geschmack. Besonders lecker fand ich die "Mokkarolle". Wie zufällig blieb die immer über....

Aber, du hast Recht, im nachhinein sieht man das alles mit anderen Augen und einem Schuß "rosarote Brille".

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Saubermann
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Beitrag von Saubermann »

Wollang hat geschrieben:Ich war einer von denen, die Euch die Brötchen und das Brot in den Jahren 1962 und 1963 während meiner Lehrzeit am Samstag ins Haus brachten.

Die Wagen wurden zwischen 5 und 6 Uhr morgens beladen und zwischen 20 und 21 Uhr war Feierabend. Dafür konnte man die Lehrlingsbezüge auch fast verdoppeln. 10 DM für den Samstag und wenn man jeden Samstag da war, am Monatsende noch mal 5 DM für jeden durchgehaltenen Samstag. Das waren dann 60 DM im Monat.
Es war viel Arbeit und ein langer Tag, aber es hat auch viel Spaß gemacht.

Hallo, hab jetzt zum ersten Mal in diesen Fred geschaut.
Ja ich habe auch von 1968-1969 dort an den Samstagen gearbeitet.
Es war genau so, wie du es beschreibst.
Treuprämie, wenn man den ganzen Monat kam.
Bitter war nur, dass man sich den grauen Kittel erst mal selbst kaufen musste.
Da war auch noch ein Spiegel im Umziehraum über dem stand:
"So sieht Dich der Kunde ".

Wenn man den richtigen festen Fahrer dabei hatte, machte die ganze Sache trotzdem auch Spaß. Ich war meist in dem Bereich Unser Fritz in Wanne eingesetzt worden.
Ab und zu drehe ich mich abrupt um, nur um zu kontrollieren, was mir alles am A...rsch vorbeigeht!
:2thumbs:

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Heinz O.
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Beitrag von Heinz O. »

[center]aus der Sammlung Karl-Heinz Weichelt

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bostonman
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Beitrag von bostonman »

Plastiktüte einer Geschmacksprobe Vorder-und RückseiteBild
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Man lebt ruhiger, wenn man nicht alles sagt was man weiß, nicht alles glaubt, was man hört und über den Rest einfach nur lächelt.

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timo
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Beitrag von timo »

bostonman hat geschrieben:Plastiktüte einer Geschmacksprobe Vorder-und Rückseite
Lässt die sich ungefähr datieren? Der Mitsubishi-Transporter deutet auf die 1980er Jahre hin, aber "Buer in Westfalen" klingt dafür doch arg... traditionell. War Herr Jäger Separatist? ;-)
Und was hat das mit Gelsenkirchen zu tun?

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gutenberg
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?

Beitrag von gutenberg »

@ timo

Bueraner, die zu ihrer Heimat stehen, als "Separatisten" zu bezeichnen, finde ich originell.
Als würde man ein Zeltlager der DPSG als "Nazihort" bezeichnen, weil die ja auch mal braune Hemden trugen...
Lustig...

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gutenberg
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Aufgefallen

Beitrag von gutenberg »

@heinz o und alle:
Der junge Mann auf dem oberen Foto rechts, dem Alter nach Lehrling oder Anlernling, hat wohl das "beriemte Buch von die janze Siedlung" im Arm: Das Anschreibebuch, stimmt's?
In diesen Wirtschaftswunderzeiten nach der "Währung" mussten halt viele Hausfrauen "bei Kabitschko" kaufen. So dass der Ehemann, damals hatten die Männer noch Verantwortung für ihre Familien, gesetzliche meine ich, und somit auch noch etwas zu sagen, zu seiner angetrauten Matka sagen konnte: "Elfriede, hasse bei den Jäger widder Latte gemacht?".
Und dann eben auf seinen Frühschoppen mit Doppelkopp verzichten musste. Es spricht für die Arbeiterkultur, dass dieses System funktionierte: weder war ein Anstieg an Scheidungen noch an Gattenmorden zu verzeichnen...

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timo
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Re: ?

Beitrag von timo »

gutenberg hat geschrieben:Bueraner, die zu ihrer Heimat stehen, als "Separatisten" zu bezeichnen, finde ich originell.
Für ein Unternehmen halte ich so eine Ortsangabe schon für ungewöhnlich. Ansonsten verweise ich aber vor allem auf den Smilie.
Und was hat das mit Gelsenkirchen zu tun?

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gutenberg
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Eigentlich

Beitrag von gutenberg »

@timo
Ich habe das ja nicht böse gmeint. DPSGler als Nazibeispiel heranzuziehen ist ja auch surreal.
Also: Freundschaft!
Über kurz oder lang, oder sehr, sehr lang wird sich das Ruhrgebiet, oder die Reste davon, sowieso zu einer - wenn auch nicht Stadt - so doch Verwaltungseinheit "Ruhr" zusammenschließen. Der Kulturrummel war nur ein Probelauf. Dann gehen die Eifersüchteleien erst richtig los. Es sei denn, es geschieht ein Wunder wie in der Story von der "Neuen Kolonie" in Scholven(sic!) die ich zum Lesen und Mitmachen nur empfehlen kann!
http://www.gelsenkirchener-geschichten. ... php?t=9810
Viele Grüße nach Übersee!

Animken
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Beitrag von Animken »

Habe heute eine Rechnung/ Lieferschein:
Brotfabrik B. Jäger - Gelsenkirchen-Buer, Taubenstraße 17, Ruf: 3 15 24
aus dem Jahr 1962 (24.12.1962) ausgegraben.

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Heinz O.
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Beitrag von Heinz O. »

[center]Sammlung Karl-Heinz WeicheltBild
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