Der Kampf der Belari-Frauen für Arbeit und Lohn

Aus dem Buch - Von Hexen, Engeln und anderen Kaempferinnen
Das Lesebuch zur Frauengeschichte in Gelsenkirchen ist zum Preis von 5,00 Euro in im aGEnda 21-Büro, von Oven Str. erhältlich

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Der Kampf der Belari-Frauen für Arbeit und Lohn

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Aus dem Buch "Von Hexen, Engeln und anderen Kämpferinnen". Das Lesebuch zur Frauengeschichte in Gelsenkirchen ist zum Preis von 9,90 Euro in allen Gelsenkirchener Buchhandlungen und im aGEnda 21-Büro erhältlich

Der Kampf der Belari-Frauen für Arbeit und Lohn



Bahnhofsvorplatz



Von 1967 bis 1990 existierte in Gelsenkirchen die Firma Martha Schreck Damenoberbekleidungs GmbH & Co. KG. Zuerst hatte das Unternehmen seinen Sitz in der Feldhofstraße, 1972 zog es in das größere Gebäude an der Schevenstraße 19. Der Betrieb stellte Damenoberbekleidung her und hatte sich auf die Produktion von Röcken, Blusen, Jacken und Kleidern für die „reife Karrierefrau“ spezialisiert.



Am 23. Dezember 1986 wurde die Martha Schreck Damenoberbekleidungs GmbH von der Martha Schreck Textilproduktionsgesellschaft mbH abgetrennt und firmierte ab dem 1. Januar 1987 als Muttergesellschaft der Textilproduktionsgesellschaft. Die zweite Umfirmierung erfolgte drei Jahre später. Mit Wirkung ab dem 7. September 1990 nannte sich das Unternehmen Belari Textilproduktionsgesellschaft mbH.



Zwei Wochen später fand eine Wirtschaftsprüfung statt, danach wurde den Beschäftigten die Schreckensnachricht von dem bevorstehenden Konkurs des Unternehmen mitgeteilt. Am 15. Oktober 1990 hatte die Unternehmensleitung Konkursantrag beim Amtsgericht in Gelsenkirchen gestellt. Die Schulden der Belari Textilproduktionsgesellschaft wurden auf etwa 770.000 DM beziffert. Als Grund wurde angegeben, dass die Belari Textilproduktion nicht kostengünstig gearbeitet haben soll. Und obwohl die eigenen Produktionszeiten von Anfang an zu kurz bemessen waren, um eine termingerechte Auslieferung überhaupt einhalten zu können, zog die Geschäftsleitung einen Vergleich zu Fremdfirmen, die angeblich rentabel arbeiten und einen niedrigeren Krankenstand aufweisen würden. Diese Firmen hatten ihren Sitz in dem damaligen Jugoslawien, in Fernost und auch in Gelsenkirchen. Alle Behauptungen erwiesen sich als falsch und unter den Frauen verstärkte sich allmählich der Verdacht, dass der Konkurs von langer Hand vorbereitet war. Zurecht empörten sich die Frauen über das taktische Vorgehen der Geschäftsleitung, die versuchte, für den Konkurs Arbeitnehmerinnen verantwortlich zu machen, von denen viele über 20 Jahre bei der Firma Martha Schreck beschäftigt waren. In der Folge dieser "betrügerischen" Konkurstaktik verloren 120 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz.



Am 12. Dezember 1990 fand vor dem Arbeitsgericht in Gelsenkirchen die erste Verhandlung der Belari-Frauen statt. 48 und später 92 Frauen hatten gegen ihre Entlassung und auf Abfindung über einen Sozialplan geklagt. Der Firmenanwalt vertrat die Auffassung, dass formaljuristisch eine Abfindung über einen Sozialplan von Belari möglich sei, da nur mit dieser Firma seit dem 1. Januar 1987 die Arbeitsverträge bestehen würden. Jedoch existierte die Firma nicht mehr, wohl aber die hinterlassenen Schulden. Am 20. Februar 1991 wurde der 1. Kammertermin anberaumt. Der Rechtsanwalt, der die Interessen der ältesten Beschäftigten vertrat, plädierte dafür, dass die „Konzernmutter“ Schreck für die Schäden aufzukommen habe. Im Klartext hieß das die Übernahme der ehemals beschäftigten Frauen oder die Zahlung einer akzeptablen Abfindung. Es kam aber auch am 19. April 1991 in der außergerichtlichen Vergleichsverhandlung über einen Sozialplan zu keiner Einigung. Die Frauen hatten die angebotene Abfindung von ca. 200.000 DM abgelehnt.



Am 14. Mai 1991 fand der 2. Kammertermin statt. Danach sollte jede Frau unabhängig von ihrer Beschäftigungsdauer und betrieblichen Zugehörigkeit eine Abfindung in Höhe von 4.000 DM erhalten. Gemeinsam mit ihrem Rechtsanwalt fanden die Belari-Frauen jedoch eine Lösung, die für alle Arbeitnehmerinnen in dieser Situation ein Höchstmaß an Gerechtigkeit bedeutete. 45 Frauen nahmen die vertragliche Vereinbarung auf Zahlung einer Summe in Höhe von 184.000 DM an, 46 Langzeitbeschäftigte klagten weiter. Die Frauen schlossen untereinander Verträge ab, die das Lebensalter und die Dauer der Betriebszugehörigkeit jeder einzelnen von ihnen berücksichtigten. Auf dieser Berechnungsbasis wurde die Summe unter den Frauen aufgeteilt. Mit dieser Konstellation hatten die Belari-Frauen eine vertragliche Lösung gefunden, die in der bundesdeutschen Rechtsprechung einmalig war.



Am Donnerstag, dem 1. August 1991, konnten die Belari-Frauen ihren großen Sieg der Solidarität unter Arbeitnehmerinnen feiern. Der persönlich haftende Gesellschafter des Unternehmens Martha Schreck hatte den geforderten Betrag in Höhe von 184.000 DM auf ein Treuhandkonto überwiesen.

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Die Belari-Frauen demonstrieren vor dem Arbeitsgericht in Gelsenkirchen für Arbeit und Lohn (Quelle: privat)

Am 13. November kündigte sich der zweite große Erfolg an. Das Arbeitsgericht bezeichnete nicht nur die Kündigung von 46 Klägerinnen als unwirksam, die Betroffenen hatten auch Aussicht auf Zahlung ihrer ausstehenden Löhne durch die Belari Textilproduktions GmbH bzw. den Gesellschafter der Firma Schreck. Den Antrag auf Zahlung von Abfindungen wies das Gericht ab, da die Firma nicht mehr existierte und somit juristisch auch kein Arbeitsverhältnis mehr bestand.



Die Belari-Frauen treffen sich auch heute noch regelmäßig und geben ihre Erfahrungen an andere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen weiter. An den Kampf der Belari-Frauen und die ehemals existierenden Arbeitsplätze für Frauen in der Bekleidungsindustrie in Gelsenkirchen erinnert das Glasmosaik an der Front des Modehauses Boecker am Bahnhofsvorplatz.



Marlies Mrotzek

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