Heimatabend - Die Vorpremiere
Zugegeben, ich bin nicht unvoreingenommen. Ich kenne sie alle. Es gab eine Zeit, da schob ich an grauen, regnerischen Tagen eine Scheibe aus der Stadtbibliothek in die Schublade des DVD-Players und schaute mir einen Jahrgang der Stadtfilme an. Meist blieb ich nicht lange allein dabei. Es gab immer ein Kind, das die Gunst der Stunde nutzen wollte um die elterlich genehmigte Fernsehzeit zu verlängern, nebenbei ein bisschen Papa allein für sich zu haben und sich dazu gesellte, wenn ich mich meinen sentimentalen Momenten voller Melancholie hingab. Was es einmal alles gab in Gelsenkirchen. Und was es alles erdulden musste, dieses Gelsenkirchen. Ich guckte sie alle bis zum Ende des Abspanns, ganze Passagen in Slow Motion und Höhepunkte minutenlang als Standbild. Wenig anfällig für Filmstars interessierte mich dabei zunehmend eine Person, deren Name ab den 1960er Jahren immer auftauchte. Wer ist eigentlich dieser Werner Nickel, der letzte Stadtfilmer Gelsenkirchens?
Frank Bürgin hatte es geschafft Oberbürgermeister Frank Baranowski dafür zu begeistern aus den Stadtfilmen einen neuen Dokumentarfilm über 50 Jahre Gelsenkirchens schneiden zu dürfen, angereichert mit Zeitzeugenberichten, mit viel O-Ton und eher sparsamen Kommentaren. Wie nicht anders zu erwarten gab der städtische Etat nicht viel her für so ein Projekt und so fanden beide einen willigen Sponsor in Sparkassenvorstand Eberhard Breßlein.
Frank Bürgin mit Teil seines Teams
Im Consol-Theater versammelte sich heute also eine Schar geladener Gäste und dazu einige Menschen, die einfach jemanden kannten, der jemanden kannte und wusste, dass es mehrere Vorpremieren gibt und so zu den ersten Zuschauern des Heimatabends wurden.
In gespannter Erwartung dessen was kommen wird: das Publikum
Sparkassenvorstand, Oberbürgermeister, Filmemacher. Jeder durfte ein paar Worte an das Publikum richten. Der letztere erst nach dem Film.
Sparkassenvorstand Eberhard Breßlein
Oberbürgermeister Frank Baranowski
Frank Bürgin
Das Publikum erfuhr, warum das Presseamt die Stadtfilme Mitte der 1990er Jahren aufgab. Dass es sicherlich ein Fehler war und eine kaum schließbare Lücke im Gedächtnis der Stadt entstanden ist, dass es einen neuen Stadtfilm über das Kulturhauptstadtjahr 2010 in Gelsenkirchen geben wird, der derzeit entsteht, und dass es in Zukunft wieder regelmäßige Stadtfilme geben soll, war den Worten des Oberbürgermeisters zu entnehmen. Man wird sehen.
Und man sollte ja auch sehen. Es begann mit einem Werbespot der Sparkasse aus den 1920er Jahren mit Karl Valentin und Liesl Karlstadt. Dieser Clip wurde bei Aufräumarbeiten der Sparkasse entdeckt und kurzerhand zur Eröffnung des Heimatabends präsentiert.
Sparkassenwerbung aus den 1920er Jahren
Dann ging es richtig los. Ein paar einleitende Informationen zur Tradition der Stadtfilme, die Erklärung, warum auf den alten Stadtfilmen die Oberbürgermeister auffallend häufig im Bild erscheinen, anschließend die Vorstellung der beiden Stadtfilmer Gelsenkirchens. Da sehe ich ihn mit seiner privaten Kamera in der Hand zum ersten Mal.
Frank Bürgin widmet jedem Jahrzehnt Gelsenkirchens ein Jahrzehnt der Stadtfilme. Zeitzeugen, darunter auch hier im Forum vertretene Gelsenkirchener wie Dr. Heidemann und Karlheinz Rabas, berichten aus ihrem Erleben.
Lutz Heidemann in Begleitung
Karlheinz Rabas in Begleitung
Ein bewährtes und stimmiges Konzept, niemals langatmig oder gar langweilig. Ein paar Pointen, ein paar augenzwinkernde Rückblicke. Ein paar vergessene Ereignisse und natürlich die fast in allen Stadtfilmen vorkommenden jährlichen "Höhepunkte", wie das Sommerfest Schloss Berge, der Rosenmontagszug oder die Pferdesportereignisse auf Trab- und Galopprennbahn. Staunen über die Kindermasse in den 1950ern, über die Kunstszene Gelsenkirchens in den 1960ern. Die Zerstörung alter Bausubstanz, die Sprengung des alten Rathauses - ich bin versucht laut "Halt "zu rufen.
Der verunglückte neue Bahnhof, ein Blick auf Planungen, die zum Glück nie umgesetzt wurden. Rückblicke auf Zeiten, als die Stadtplaner noch dem Auto alles unterordnen wollten. Passend dazu ein paar vernichtende Urteile über die damaligen Stadtplanungen, z.B. aus dem Mund des Architekten Ernst-Otto Glasmeier. Bilder vom Bau der Stadtbahn - "unser U-Bähnchen". Wehmütige Blicke auf Grimberg, Spielplätze, Autocross und die letzte Deutsche Meisterschaft der Schalker.
Der Boom nach dem Wiederaufbau, das Ende des Bevölkerungswachstums, der Beginn der Bergbaukrise, das Ende der Stahlindustrie und die vielen Rückschläge, die Gelsenkirchen zu verkraften hatte, davon berichtet der Film. Fast schon ein Wunder - so ein Kommentar - dass es die Stadt nach all den zerstörten Hoffnungen immer noch gibt.
Impressionen vom Wiederaufbau
Der Film endet nach gut 1 1/2 Stunden mit dem Anfang des Aufbruchs in den 1990er Jahren, als die IBA (Internationale Bauausstellung Emscher Park) begann und die Bundesgartenschau entstand. Damals endeten auch die Stadtfilme, der Stadtfilmer wurde in den Vorruhestand entlassen. Abspann - Applaus - Ein älteres Paar vor mir flüstert: "Das hätte ruhig länger sein können."
Am Ausgang dann, das muss er sein, begegne ich dem Mann, dessen Filmmaterial neu komponiert wurde: Werner Nickel.
Werner Nickel im Interview mit WAZ-Redakteur loc
Er steht da am Rande, selbst am Projekt Heimatabend unbeteiligt aber noch voller Erinnerungen an die Zeit als Stadtfilmer. Wir kommen ins erzählen. Was wohl aus den Schnittresten der alten Stadtfilme geworden ist? Wieso nicht das Originalmaterial in besserer Qualität sondern Kopien als Ausgangsmaterial genommen wurde? Es gäbe so viel mehr zu entdecken, was im Presseamt einst produziert wurde und nun der breiten Öffentlichkeit kaum zugänglich ist.
Noch ein Premierengast
Es gibt noch Karten zu 2,- € für die weiteren Vorstellungen des Heimatabend aber nicht mehr sehr viele. Die DVD kostet 9,90 €. - Sehr zu empfehlen für sentimentale Momente auf dem Sofa, bevorzugt bei Regenwetter.
Heimatabend!
Nicht nur dem OB hat es gefallen. Dank an Frank Bürgin.
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Türöffnerin: Chronistin66 (Herzlichen Dank dafür! Und was hast du für ein Glück gehabt, an dem Projekt mitarbeiten zu können!
)
Fotos: Fuchs
Text: Emscherbruch
Stell dir vor, es geht und keiner kriegt's hin.